Patrick Keillers „The Dilapidated Dwelling“ bei Cinepolis im Metropolis
: Baufällig wohnet der Mensch

Kaum ein Lebensbereich, der nicht vom industriellen Wandel umgekrempelt worden wäre – außer dem in vieler Hinsicht naheliegendsten: dem des Hauses, der Wohnung (engl.: „dwelling“). Während der Lebensstil beweglicher und Konsumgüter relativ gesehen billiger werden, bleibt das Wohnen statisch und wird immer teurer. Zumal in einer Gesellschaft wie der britischen, die das eigene Dach über dem Kopf fürs gelungene Leben ungleich wichtiger findet als etwa die deutsche. Häuser sind da Gegenstand einer irrationalen Spekulationsspirale und zugleich oft überaltert, wenn nicht gar baufällig („dilapidated“).

Regisseur Patrick Keiller nähert sich dem Thema nicht ästhetisch oder soziologisch, sondern ökonomisch: Warum ist das Wohnhaus im (britischen) Kapitalismus kein Industrieprodukt wie jedes andere geworden? Diese Frage legt er einer fiktiven Figur in den Mund, einer Off-Erzählerin, gesprochen von Tilda Swinton. Nach 20 Jahren als Forscherin in arktischen Schneehäusern staunt sie bei ihrer Rückkehr über den Stillstand der Wohnkultur und unternimmt eine architektonische Entdeckungsreise.

Keillers Bilder kontrastieren die backsteinerne Monotonie der Reihenhäuser mit der Funktionalität von industriell gefertigten Supermarktfilialen. Der gelernte Architekt arbeitet dabei – wie auch schon in London (1993) und Robinson in Space (1997) – gern mit streng symmetrischen, fixen Einstellungen. Das verstärkt die distanzierende, erhellende Funktion der kontemplativen dokumentarischen Verdoppelung von Wirklichkeit.

The Dilapidated Dwelling (2000) ist sachlicher und weniger verspielt als Keillers frühere Filme. Er zeigt auch Interviews mit Fachleuten und historisches Archivmaterial. Die utopischen Visionen etwa des Architekten Buckminster Fuller von mobilen Serien-Metallhäusern aus den 50ern wirken angesichts der tristen Jetztzeit naiv. Aber sie spiegeln Keillers Anliegen, auch in ihrem blinden Fleck: Er fragt nach dem Hausbau, aber kaum nach Bewohnern und ihrer Weise zu wohnen. Bedingt durch die britische Perspektive verliert er kein Wort über andere Formen als das Einzel- oder Reihenhaus. Eine marxistisch argumentierende Geographin gibt der Erzählerin einen Hinweis, den Keiller nicht ernst zu nehmen scheint: Ist das Konzept des „Hauses“ heute als solches nicht vielleicht genauso überaltert, baufällig, „dilapidated“ wie das etwa der bürgerlichen Familie oder des Nationalstaats? Und zwar, so wäre weiter zu fragen, ganz unabhängig von seiner – industriellen oder individuellen – Produktionsweise?

JAKOB HESLER

Donnerstag, 21.15 Uhr, Metropolis (Einführung: Mehmet Alatur)