streit über hartz IV
: Die Mehrheit zweifelt noch

Eine Volksfront hat Gerhard Schröder ausgemacht, vereint gegen sein Reformwerk. So düster malte er die Welt am Wochenende: Links der SPD mobilisiert die PDS aus Populismus die Straße, während rechts der SPD die CDU sich als zu feige erweist, die gemeinsam beschlossenen Grausamkeiten auch zu verteidigen. Nun ist die Idee einer Volksfront aus PDS und CDU historisch Unfug und politisch unsinnig. Doch wie so oft, wenn Politiker sich verbal verheben, sagen sie etwas damit aus – über sich und ihre Weltsicht.

KOMMENTARVON PATRIK SCHWARZ

Gerhard Schröder fühlt sich zunehmend umzingelt. Er sieht Feinde und Bündnisse von Feinden, wo nur zwei Parteien versuchen, reichlich unbeholfen auf den Zorn ihrer Wähler zu reagieren. So zeigt Schröders Irritation vor allem: die Montagsdemos tun Wirkung. Aber welche?

Die Regierung hielt die Kontroverse um die Agenda 2010 für gewonnen, die Bürger für leidlich überzeugt. Jetzt erlebt die Politik in der Hauptstadt eine Rebellion an der Basis: dezentral organisiert und in den Zielen weitgehend unkoordiniert. Darauf ist der Berliner Politikbetrieb, die Union wie Rot-Grün, denkbar schlecht eingerichtet. Und so werden die Demonstrationen unter- und überschätzt zugleich.

Nicht, dass das Land sich einig ist, zeigen die Demos, sondern wie uneins es ist. Was von Hartz IV zu halten sei, auf diese Frage haben viele Leute für sich noch keine Antwort gefunden. Man muss nur hinhören in der U-Bahn, in der Mittagspause oder in der Kneipe: Selten gab es in letzter Zeit ein politisches Thema, wo so viele Bürger unsicher waren, wem sie glauben sollen – der Regierung oder ihren Kritikern. Solange die Agenda 2010 allgemein blieb, fiel vielen die Zustimmung zu Reformen leicht. Die Bestimmungen von Hartz IV erscheinen vielen grausam. Für die Agenda, aber gegen Hartz – dass das nicht zusammengeht, dämmert jetzt gerade den Unschlüssigen.

Für gewöhnlich dreht sich das Nachrichtenrad so schnell, dass man ihm als „Tagesschau“-Gucker oder Zeitungsleser kaum folgen kann. Medienkritiker sagen, wir sind overnewsed and underinformed, konkret heißt das, ehe das eigene Urteil feststeht, wird schon die nächste Sau durchs globale Dorf getrieben. Die Montagsdemos durchbrechen diesen Kreislauf, sie halten die Politik für einen Sommer an und zwingen Bürger wie Politiker bei einer Frage zu bleiben: Sind die Reformen richtig oder falsch? Noch steht das Urteil der Mehrheit aus.