Berliner Bildung: „KZ“ und Knete

Mit seiner Entgleisung, Kindergärten mit Konzentrationslagern zu vergleichen, bringt Finanzsenator Sarrazin die Berliner Bildungspolitik in den Verruf, der ihr gebührt. Niemand sonst will den jüngsten Beschluss über höhere Kitagebühren vertreten

aus Berlin CHRISTIAN FÜLLER
und STEFFEN BECKER

Berlins Bildungssenator Klaus Böger (SPD) hat auch gestern wieder keinen guten Tag verbracht. Seitdem Böger in der Hauptstadt Schulen und Kindergärten vertritt, wird er beschimpft und beschuldigt. Bögers Pech ist, dass er immer neue Kürzungen der Landesregierung verkünden muss – obwohl die rot-rote Koalition zum Amtsantritt doch Bildung zu ihrem Topthema gemacht hatte. „Seit die Berliner Eltern für Schulbücher zahlen müssen, kann es gar nicht schlimmer kommen“, stöhnt ein Mitarbeiter des Bildungssenators.

Nun ist es noch schlimmer gekommen. Finanzsenator Thilo Sarrazin, der gut mit Zahlen, aber schlecht mit Worten umgehen kann, hat rhetorisch die Berliner Kitas mit Nazi-KZs in einen Zusammenhang gebracht. „Es wird getan, als ob wir Kinder in Konzentrationslager schickten“, sagte Sarrazin. Der Zahlenfetischist verteidigte sich hinterher damit, er habe sein Publikum durch plastische Beispiele zum Zuhören ermuntern wollen. Sarrazin sprach vor 200 Wirtschaftsprüfern. Und sein NS-Vergleich war auf die Kritik von Eltern und Kita-Trägern an der saftigen Gebührenerhöhung in den Berliner Kindergärten gemünzt.

Klaus Böger, der so etwas wie die moralische Autorität des Berliner Senats ist, war entgeistert. Er könne nicht verstehen, warum Politiker immer wieder völlig unpassende Nazi-Vergleiche wählten. „Äußerst beschämend“, lautete Bögers Urteil. Er forderte seinen Ministerkollegen auf, sich zu entschuldigen – ebenso wie die Opposition, aber auch Parteifreunde und der Koalitionspartner PDS. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit hat Finanzsenator Sarrazin gar zum persönlichen Gespräch bestellt.

Die Berliner Bildungspolitik und Klaus Böger freilich werden durch den neuerlichen Fehlgriff Sarrazins einer Zerreißprobe ausgesetzt. Nach dem Bruch ihres Wahlversprechens, bei der Bildung nicht zu kürzen, hat die Regierung in Kindergärten, Schulen und Hochschulen bereits einen schweren Stand. Nun aber ist gar kein politisch Verantwortlicher in der Stadt mehr bereit, die neueste Maßnahme zu vertreten – außer dem raubeinigen Finanzsenator, der Nazi-Vokabular braucht, um die bis auf 450 Euro pro Monat steigenden Kitagebühren zu verteidigen. „Gebührenerhöhungen können nicht familienfreundlich sein“, nimmt selbst Berlins SPD-Chef Peter Strieder vorsichtig Abstand zu dem Senatsbeschluss, den das Berliner Abgeordentenhaus noch nicht abgesegnet hat.

Klaus Böger rettet sich derweil in politische Sophismen. Man müsse nur trennen zwischen dem, „was ich in einem Regierungsamt konkret und jetzt tun muss und was langfristig bildungspolitisch in ganz Deutschland sinnvoll wäre“, sagte er einer Zeitung. Böger versuchte so zu umschreiben, dass er aus bildungspolitischen Gründen die Kitapreise gern auf Null setzen würde, sie aus Gründen der Finanzknappheit nun aber zunächst erhöht: Ein Krippenplatz für Kleinkinder kostet in Berlin künftig über 500 Euro. Für 60 Prozent der Eltern werden Kitagebühren teurer, „Mittelstandseinkommen“ von 33.000 Euro zahlen ab sofort 30 Prozent mehr. Die erhofften Mehreinnahmen von 12 Millionen Euro gehen in Gänze an Finanzsenator Sarrazins Gesamtbudget.

Dass der Finanzsenator zurücktritt, glaubt niemand. Zwar stänkern auch Mitglieder des SPD-Landesvorstands, der Mann sei spätestens jetzt „untragbar“ geworden. Aber das Gremium gab sich bereits vor seiner Krisenssitzung gestern Abend zuversichtlich. Sarrazins Äußerungen würden „als Einzeltat“ angesehen. Mit einer Entschuldigung wäre die Sache ausgeräumt.

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