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: Liebesfraß

In der Musik spricht man von Crossover. Dieses Buch ist ein Grenzgänger zwischen Science-Fiction und Liebesdrama, Märchen und Reality-Show, reich gespickt mit lyrischen Ergüssen, pseudophilosophischen Sentenzen und seitenlangen filmreifen Dialogen. Kein Wunder also, dass Audrey Niffeneggers Romanerstling „Die Frau des Zeitreisenden“ bei seinem Erscheinen im September vergangenen Jahres in den USA wochenlang auf den ersten Plätzen der Bestsellerlisten der New York Times und Publishers Weekly stand und sich inzwischen auch als Paperback dort festgesetzt hat. Und weil sich dieser Mix erfahrungsgemäß auch an der Kinokasse wunderbar verkauft, haben sich Brad Pitt und Jennifer Aniston schon die Filmrechte an dem Buch gesichert.

Die Geschichte, mit der nun der S. Fischer Verlag auf einen Bestseller in Deutschland hofft, ist auf den ersten Blick kompliziert, aber rasch erzählt. Der Bibliotheksangestellte Henry De Tamble leidet an einer bisher unbekannten genetischen Erkrankung, die dazu führt, dass er plötzlich immer wieder unerwartet aus der Gegenwart herausgerissen wird und in einem anderen Augenblick seines Lebens landet. Im Alter von 28 begegnet er erstmals der zwanzigjährigen Kunststudentin Clare, die ihn allerdings schon lange kennt und seit ihrer Kindheit auf ihn wartet. Denn auf seinen Zeitreisen hat eine ältere Version seiner selbst die künftige Ehefrau als junges Mädchen mehrmals besucht. Die durch das unerwartete Auftauchen und Verschwinden des chronogestörten Mannes unterbrochene Liebes- und Leidensgeschichte wird aus wechselnder Perspektive der beiden Hauptfiguren berichtet: Mal ist er 36 und sie 6 Jahre alt, mal er 30 und sie 22 Jahre alt, mal begegnet der ältere Henry gar seinem kindlichen Alter Ego.

Um der absurden, in sich nicht immer schlüssigen Handlung die nötige Authentizität zu verleihen– und vielleicht potenziellen Musikproduzenten und Kostümbildnern ihren Job zu erleichtern –, gibt es überall gut sichtbar Reliquien aus der Popgeschichte: Musik von den Beatles oder Velvet Underground bis zu den Violent Femmes, und auf den T-Shirts der Figuren prangen Aufdrucke von den Sex Pistols oder Seven Dead Arson, je nachdem in welcher Zeitschleife wir uns gerade bewegen. Das erleichtert es zwar dem Leser, sich im Meer der Zeit zurechtzufinden, wirkt aber doch eher bemüht. Die Figuren sind knapp gezeichnet – sie eine „zarte Schönheit à la Botticelli“, er ein „Egon-Schiele-Zwilling“ –, und auch bei der Beschreibung großer Gefühle verlässt sich Niffenegger lieber auf erprobte Redewendungen: „Ich bin außer mir vor Glück“, oder von „jähem Hochgefühl erfasst“, und nach dem ersten Sex mit Clare konstatiert Henry nüchtern: „Erschöpfung durchdringt mich.“

Wenn es allerdings ans Sterben geht, darf der Ton schon mal etwas höher sein. „Dasein entspringt mir im Herzen“, denkt der sterbende Henry, ebenso wie Clare und die Autorin selbst ein bekennender Rilke-Fan. Leider überlebt er seinen Tod und tummelt sich noch eine Weile auf der Spirale der ewigen Wiederkehr, was dem ebenfalls von Erschöpfung durchdrungenen Leser weitere hundert Seiten Lektüre beschert.

Klar, dass so ein smarter Surfer durch Raum und Zeit es immer ziemlich eilig hat. Vielleicht erklärt das ja die Kurzatmigkeit, mit der da von Freiheit und Determination, Heidegger und Kierkegaard gesprochen wird. Auch Kants kategorischer Imperativ ist eigentlich ganz einfach, wie Henry seiner Geliebten erklärt: „Du sollst nicht andere Leute fressen, solange du nicht willens bist, selbst gefressen zu werden.“ Wenn ein Roman schon meint, nicht ohne philosophischen Überbau auszukommen, dann könnte er doch etwas mehr liefern als bloß den Grundriss. So viel Zeit sollte selbst ein Zeitreisender haben. MARION LÜHE

Audrey Niffenegger: „Die Frau des Zeitreisenden“, aus dem Amerikanischen von Brigitte Jacobeit, Verlag S. Fischer, Frankfurt amMain 2004, 544 Seiten, 19,90 Euro