Neuer Prozess, alter Zeugenmangel

Die US-Justizbehörden stellen weiter keinen Kontakt zu wichtigen Zeugen in der Neuauflage des Verfahrens gegen Mounir al-Motassadeq her. Hamburger Richter verspricht dem mutmaßlichen Helfer der Anschläge vom 11. September fairen Prozess

AUS HAMBURG KAI VON APPEN

Die Neuauflage des Prozesses gegen den mutmaßlichen Helfer der Anschläge vom 11. September 2001, Mounir al-Motassadeq, fing gestern mit dem Problem an, an dem das erste Verfahren scheiterte: Gleich zu Prozessauftakt legte der Vorsitzende des 4. Senats des Hanseatischen Oberlandesgerichts (OLG), Ernst-Rainer Schudt, ein Schreiben des US-Justizministeriums vor, in dem weite Teile seines Rechtshilfeersuchens abgelehnt werden.

Schudt wollt eine Zeugenvernehmung der beiden in den USA inhaftierten mutmaßlichen Planer der Anschläge, Ramsi Binalshibh und Chalid Scheich Mohamed, erreichen. Dies lehnen die US-Behörden weiterhin ab. „Ein direkter Zugang zu den feindlichen Kämpfern und den geheimen Vernehmungsprotokollen der US-Geheimdienste ist nicht möglich“, heißt es in der Depesche, die dem Gericht am Montag über das Auswärtige Amt übermittelt worden war.

Die US-Behörden wollten nicht einmal bestätigen, „ob sich die genannten Personen in US-Gewahrsam befinden“. Vernehmungsprotokolle von nationalem Interesse stünden ohnehin nur „wechselseitig“ den US-Geheimdiensten zur Verfügung, „weil sonst Informationen verloren gehen“ würden, darüber hinaus jedoch niemandem – auch nicht US-Gerichten. Die US-Justiz stellte lediglich in Aussicht, „gewisse als nicht vertraulich eingestufte Zusammenfassungen“ zur Verfügung zu stellen.

Motassadeq steht erneut wegen Beihilfe zum Mord in über 3.000 Fällen und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor Gericht. Er war bereits im Februar 2003 zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte das Urteil aufgehoben und nach Hamburg zurückverwiesen. In dem BGH-Urteil, das zum Prozessauftakt erneut verlesen wurde, war bemängelt worden, dass der 3. Strafsenat damals vielleicht eine „falsche Beweiswürdigung“ vorgenommen habe, da es wegen der nicht vorhandenen Vernehmungsprotokolle von Binalshibh nicht die Möglichkeit in Betracht gezogen hatte, dass dessen Aussagen Entlastendes für Motassadeq beinhalten könnten. Durch die „selektive Gewährung von Rechtshilfen“ hätten die US-Behörden das Verfahren lenken und direkt Einfluss nehmen wollen, sodass der Grundsatz des „fairen Verfahrens“ verletzt worden sein könnte.

Richter Schudt sicherte Motassadeq zu, dass es trotz des politischen und öffentlichen Drucks unter seiner Leitung zu keiner Willkür kommen werde. Das Gericht werde nicht die Wünsche irgendeiner Regierung erfüllen und versuchen, auch das „schwarze Loch“ des ersten Verfahrens zu schließen.

Dies allerdings ist nach Auffassung der Verteidiger Josef Gräßle-Münscher und Udo Jacob nicht mehr möglich. Beide beantragten die Einstellung des Verfahrens. Selbst wenn der Zeuge Binalshibh gehört oder seine Vernehmungsprotokolle zur Verfügung stehen würden, seien sie für ein deutsches Gericht nicht verwertbar. Nach allem, was bekannt geworden sei, müsse davon ausgegangen werden, so Gräßle-Münscher, „dass Binalshibh Foltermaßnahmen ausgesetzt war und ist“. Er befinde sich seit zwei Jahren ohne anwaltlichen Beistand in einem Lager und sei dort geheimdienstlichen Verhörmethoden ausgesetzt. „Diese Verhörmethoden sind Folter gleichzusetzen und unterliegen nach deutschen Maßstäben einem Verwertungsverbot.“

Zudem sei die Grundlage der Anklage widerlegt, meinte die Motassadeq-Verteidigung. So habe die 9/11-Kommission des US-Kongresses festgestellt, dass die Anschläge nicht in Hamburg, sondern von Bin Laden und dem Al-Qaida-Netzwerk in Afghanistan geplant worden seien.