„Finanzminister aller Länder – einigt euch“, sagt Erhard Eppler

Lafontaine hat Recht: Die SPD lässt sich vom Kapital ihre Politik diktieren. Aber als Politiker hat Lafontaine versagt

taz: Herr Eppler, immer mehr Menschen protestieren gegen die Arbeitsmarktreformen, und die SPD verliert in allen Umfragen. Was würden Sie Ihrer Partei raten?

Erhard Eppler: Ich habe kein Patentrezept. Ich bin kein Experte in der Sozialpolitik – aber ich fürchte, dass die SPD da durchmuss. Ein Zurückweichen würde sie noch härter treffen. Die sich geärgert haben, würden nicht zurückkehren – und wer von Hartz IV überzeugt war, würde sich auch noch abwenden. Allenfalls in der Durchführungsverordnung lassen sich Details noch korrigieren.

Ex-Parteichef Lafontaine hingegen weiß, was zu tun ist: kompletter Kurswechsel und Sturz des Kanzlers.

Lafontaine habe ich einmal für einen Überzeugungstäter gehalten, aber das tue ich seit vielen Jahren nicht mehr. Er ist ein Narziss: Nur als die Nummer eins kann er vernünftige Arbeit leisten. Seine narzisstischen Bedürfnisse zielen jetzt auf Schröder. Deswegen verlangt er den Rücktritt des Kanzlers, ohne zu sagen, wer es dann machen soll.

Vielleicht hofft Lafontaine, er könnte der Nachfolger werden – oder ihn wenigstens mitbestimmen?

Nachfolger würden, allenfalls, CDU-Chefin Angela Merkel oder Wirtschaftsminister Wolfgang Clement. Jeder weiß, dass sie Lafontaine inhaltlich nicht näher stehen als Schröder.

Aber macht nicht genau das einen Überzeugungstäter aus? Dass er Forderungen riskiert – egal wie ungewünscht die Konsequenzen sein könnten?

Auch ein politischer Überzeugungstäter ist für die Folgen verantwortlich. Wenn Lafontaine ein Überzeugungstäter wäre, dann hätte er nicht wenige Monate nach seinem Rücktritt 1999 ein Buch verfasst …

„Das Herz schlägt links“ …

das voller Indiskretionen ist und das er an den Meistbietenden auf dem Verlagsmarkt für eine Riesensumme verkauft hat. Das ist genau die Art von zynischem Kapitalismus, gegen die er jetzt polemisiert.

Aber hat Lafontaine nicht Recht, dass Rot-Grün die Unternehmer zu stark entlastet?

Es gibt tatsächlich ein schauerliches Ungleichgewicht zwischen Politik und Kapital. Das global agierende Kapital kann jede nationale Regierung mit der Drohung erpressen, nur noch anderswo zu investieren. Auch eine Regierung Lafontaine könnte sich dagegen nicht wehren.

Aber wurde Schröder erpresst? Rot-Grün schien ernsthaft zu glauben, dass niedrigere Unternehmenssteuern und ein gesenkter Spitzensteuersatz zu Wachstum führen.

Das gilt nur im Blick auf den internationalen Wettbewerb. So bleibt das Kapital im Land. Vielleicht kommt fremdes. Ansonsten wirken Steuersenkungen sich bei den Spitzenverdienern nur auf dem Konto aus, nicht auf ihre Art, zu konsumieren. 20 Milliarden für die Kommunen wäre ein Konjunkturprogramm.

Wieso wurde Schröder dann erpresst?

Im Finanzministerium sagt man, dass der neue Spitzensatz so errechnet wurde, dass er international konkurrenzfähig ist und nicht massiv zur Kapitalflucht führt. Ich nehme Schröder nicht übel, dass er gelegentlich erpresst wird, sondern dass er nicht offener darüber redet.

Was würde ein solches Lamento denn ändern?

Die Gewerkschaften würden merken, dass es Schröder nicht anders als ihnen geht. Die Firmen müssen einen angemessenen Beitrag zum Steueraufkommen leisten. Seit 1970 hat sich ihr Anteil mehr als halbiert. Die Staaten werden ausgehungert. Es stimmt, dass Stellen auch wegfallen, wenn Bibliotheken geschlossen werden und Museen nur noch stundenweise geöffnet sind.

Und wie soll sich das ändern?

Dem globalen Kapital muss man globale Regeln setzen. Wir brauchen eine weltweite Mindeststeuer für Unternehmen. Heute heißt es nicht mehr: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch“ – sondern: „Finanzminister aller Länder, einigt euch.“ Zuerst in der EU.

Das hat Lafontaine als Finanzminister auch schon gefordert.

Aber er hat nicht gesehen, wie schwierig und langwierig dieser Prozess ist, und wollte alles im Hauruck-Verfahren durchsetzen.

Nachfolger Eichel hat zwar mehr Geduld – kommt aber auch nicht viel weiter bei seinen EU-Kollegen.

Solange der Neoliberalismus ein Dogma in den Wirtschaftsteilen unserer Zeitungen ist, so lange ist es unendlich schwierig, gegen das Erpressungspotenzial der globalen Unternehmen anzugehen. Ein so wenig linksverdächtiger Mann wie CSU-Chef Edmund Stoiber hat kürzlich angeregt, in der EU eine Mindestbesteuerung zu vereinbaren – mit Blick auf das Steuerdumping in der Slowakei. Er wurde in fast allen Medien herabgetadelt.

Also keine Hoffnung?

Der Neoliberalismus muss und wird sich totlaufen wie alle Ideologien mit verkürztem Menschenbild. Dann wird es möglich, dem global agierenden Kapital einen politischen Rahmen zu setzen, einen sozialen und einen ökologischen. Die Initiative dazu muss von Europa ausgehen. Bis dahin müssen wir lernen, dass der Staat, zumal der demokratische Rechtsstaat, mehr ist als ein Markthindernis.

INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN