Nur noch Fehler

Neuschreib bringt einfachere Regeln ins Deutsche. In der öffentlichen Debatte werden nur Zweifelsfälle diskutiert

Die Idee der Rechtschreibreform war, die Sprache zu vereinfachen – die Kommasetzung, die komplizierte Groß- und Kleinschreibung und eine Spezialität unserer Sprache: das Zusammen- und Getrenntschreiben.

Die Feindbilder vieler Reformgegner sind aber Ausnahmen und Besonderheiten. „Strasse“, „fort gehen“ oder „Filosofie“ werden in keiner Schule gelehrt. Sie stehen auch in keinem Lexikon. Aufwändig ist ebenso wenig Pflicht wie viel versprechend in zwei Wörtern, beides ist lediglich erlaubt – auch wenn Landesvater Christian Wulff beklagt, heute müsse es „viel versprechender Nachwuchspolitiker“ heißen. Auch hierzulande ist – anders, als Spiegel-Chef Stefan Aust meint – nach wie vor zulässig. Aber wer kennt schon die neuen Regeln so genau? Wer meint, sie seien nicht leichter als die alten, kennt sie vermutlich nicht.

Ob ß und ss, hängt nur noch von der Aussprache des vorhergehenden Vokals ab – ss steht dort, wo auch andere Doppelkonsonanten stehen könnten; die alte zweite Regel, wann man ß setzen müsse, ist weg, sie hatte mit dem Vokal nichts zu tun.

Bei der Frage „Getrennt oder zusammen?“ ist eine praktische Entscheidungshilfe eingeführt worden. Musste früher zwischen wörtlicher und übertragener Bedeutung differenziert werden (was letztlich der Duden-Redaktion übertragen war), soll man heute selbst ausprobieren, ob die Steigerung des vorderen Wortteils Sinn ergibt – und man ihn abtrennt. Fest binden lässt sich das Schnürband, festbinden die Kuh. Was weiter als weit geht, kann weiter gehend oder weitgehender sein, also sind weitgehend und weit gehend richtig.

Wegen des Protests gegen manche Getrenntschreibungen wurden die amtlichen Regeln im Juni noch mal geändert. Jetzt haben wir wieder schriftlich, dass wir deswegen zusammenschreiben (und nicht zusammen schreiben), weil der Teil vor dem Verb betont wird; und wenn ein Partizip hinten steht, hat man immer das Argument, dass man den Begriff als ein Wort verstanden wissen wolle, also etwa alleinstehend, was jetzt ausdrücklich wieder zugelassen ist.

Steht ein Substantiv vorm Verb, darf nur dann zusammengeschrieben werden, wenn eine Einsparung stattgefunden hat. So wird „vom Mond beschienen“ mondbeschienen, weil ja das „vom“ fehlt. Zum anderen gibt es für die Vorsätze, die direkt an das Verb geschrieben werden sollen, eine Liste (§ 34, Absatz 1). Die hätten die Reformer ruhig bekannter machen können, denn damit lässt sich eine der ergiebigsten Fehlerquellen schließen, die in vielen Redaktionen gesprudelt hat („hinein gehen“, „heim kommen“, „zurück nehmen“). Kaum jemand wird die Liste auswendig lernen – aber das Prinzip ist leicht zu erkennen.

Auch bei der Trennung reichen jetzt Appelle: Es ist nicht mehr strafwürdig, einen I-gel oder einen O-fen zu Papier zu bringen. Man muss es ja nicht mitmachen. Viel störender waren hingegen die alten Trennregeln. Die Umwandlung von ck in kk war mit moderner Textverarbeitung ebenso wenig vereinbar wie die Verminderung von drei gleichen Konsonanten zu zweien. Wem die Neuregelung zu traditionsvergessen ist, kann in einen Duden von 1901, dem Jahr der letzten Reform, gucken. Da war die Auslassung des dritten Konsonanten erlaubt, aber noch nicht Pflicht. Strenger als in der Kaiserzeit, so hätten es die Reformgegner gern. MATTHIAS FINK