„Er wird missmutig und alt sein“

Interview PATRIK SCHWARZ

taz: Herr Raschke, Joschka Fischer hat gesprochen. Was heißt es für die Bündnisgrünen, dass er der Partei erhalten bleibt?

Joachim Raschke: Für die Grünen ist das zunächst einmal eine vertane Emanzipationschance. Sie sind in den nächsten Jahren um die Chance gebracht, eine demokratische Reifeprüfung zu bestehen. Die Frage war ja offen: Landen die Grünen ohne Fischer bei Hauen und Stechen oder haben sie die Kraft, allein zurechtzukommen? Die ganz normale Demokratie jenseits von Basisdemokratie auf der einen Seite und Joschka Fischers Bonapartismus auf der anderen Seite ist auf lange Zeit nicht in Sicht.

Hätten die Grünen also Fischer beim Sprung nach Europa nachhelfen sollen?

Nun, da konnten sie wohl wenig ausrichten. Fischer hatte sich einfach beim Zeitplan verkalkuliert – der angepeilte Posten des EU-Außenministers wird nicht schnell genug geschaffen, als dass er zum Zuge kommen könnte. Insofern handelt es sich bei Fischers Entscheidung für Berlin nicht um einen Verzicht, sondern um eine selbst verschuldete Niederlage. Er bleibt ja jetzt widerstrebend der Auswärtige Amtsvorsteher einer Mittelmacht. Darin offenbart sich auch eine Schwäche – und es ist vielleicht der Beginn von Joschka Fischers Entzauberung.

Was verrät die Entscheidung über den Menschen Joschka Fischer?

Das europäische Karriere-Abenteuer, das er in den letzten Monaten betrieben hat, lässt sich auch zurückführen auf eine Selbstüberschätzung. Er dachte wohl, dass alle Welt auf Joschka Fischer wartet – gleich wie der institutionelle Zeitplan des europäischen Verfassungsprozesses sich auch entwickelt. Ein Stück weit ist das vielleicht unausweichlich, wenn man zunehmend eine Art Hofschranzentum um sich sammelt, das einen vor allem im eigenen Selbstbild bestätigt.

Trotzdem, Vizekanzler und Außenminister zu bleiben ist so schlecht doch nicht.

Ja, bei normalem Anspruchsniveau. Aber er wollte ja eine Etage höher arbeiten. Das ist sein Problem: Er muss hinter seinen Aspirationen zurückbleiben.

Daniel Cohn-Bendit hofft, dass sein Freund Fischer 2008 doch noch nach Brüssel wechseln kann.

Das ist die Statthalter-Idee – dass also irgendjemand für Fischer so lange den Sessel in Brüssel warm hält, bis er einwechseln will. Doch so funktioniert das nicht. Dahinter steht ja die Annahme, dass 25 europäische Länder nur auf einen grünen Außenminister warten – und heiße er auch Joschka Fischer.

Nehmen Sie dem Außenminister und leidenschaftlichen Europafan ab, dass er wieder brennt für die deutsche Innenpolitik?

Die politischen Raufereien und Rangeleien mit dem politischen Gegner werden ihm weiterhin Spaß machen. Aber was die Inhalte betrifft, wird er sich sehr zwingen müssen, um der Innenpolitik Reize abzugewinnen. Schließlich lebt er nun mit der Perspektive eines fließenden Übergangs vom heimlichen Vorsitzenden zum Ehrenvorsitzenden der Grünen. Für einen gelernten Sponti ist das eine katastrophale Aussicht. Er wird an vielen Tagen ein missmutiger, alter Mann sein.

Ohne das Ticket Schröder/Fischer wäre Rot-Grün aber bei der Bundestagswahl 2006 verloren.

Das ist wahr. Rot-Grün ist der Gewinner der Entscheidung der zwei Duzfreunde. So schlecht die Chancen der Koalition derzeit auch scheinen mögen, sie haben sich mit Blick auf die nächste Bundestagswahl verbessert. Rot-Grün könnte 2006 zum ersten Mal durch eigenes Verdienst gewählt werden – 98 sind sie durch Überraschung an die Macht gekommen, 2002 haben sie sich durch Zufall gehalten. Der dritte Sieg wäre der erste selbst verdiente Wahlerfolg von Rot-Grün.

Die Regierung Kohl wurde für ihre lange Amtszeit stets kritisiert.

Ja, aber bei Rot-Grün ist die Ausgangslage eine andere. Noch immer wird ja der jetzigen Koalition in nicht unerheblichen Teilen der Gesellschaft nur die halbe Legitimität zugestanden. Ein dritter Wahlsieg, der diesmal ein bewusster wäre, würde auch der Union und dem bürgerlichen Lager signalisieren, dass eine postmaterielle Werteorientierung eine Verankerung in der Gesellschaft hat. Ob das ein neues Familienbild oder die Ausländerintegration ist – die Union käme dann definitiv nicht um eine Revision ihrer überkommenen Vorstellungen herum. Es geht also um so etwas wie die kulturelle Hegemonie einer Mitte-links-Politik.

Mit Fischers Weggang wäre ein Fülle von Jobs frei geworden: Neben den Ämtern von Außenminister und Vizekanzler auch die Rolle des heimlichen Grünen-Vorsitzenden, des wichtigsten Koalitionspartners der SPD, des öffentlichen Sympathieträgers Nr. 1. Müssen jetzt viele Grüne aus der zweiten Reihe ihre Aufstiegshoffnungen begraben?

Im Vergleich zur SPD gibt es bei den Grünen immer noch genügend Führungsnachwuchs. Der Generationswechsel findet durch Einsickern statt, nicht durch das große Getöse eines Generationenkriegs. Joschka Fischer steht diesem samtenen Wechsel nicht entgegen.

Sie teilen nicht die These, dass die Trittins, Künasts oder Göring-Eckardts sich schon angeschickt hatten, das Fell des Bären zu verteilen?

Kann ja sein, aber das sollte man jetzt nicht dramatisieren. Keiner der Genannten konnte doch noch vor wenigen Jahren damit rechnen, überhaupt so weit zu kommen. Nun bleiben die Älteren, was sie sind. Und die Jüngeren werden wieder um die Sympathie des Patriarchen buhlen, um ihren Aufstieg zu sichern. Oder sie versuchen durch sanftes Rebellentum aufzufallen – was den Alten wohlig an seine wilderen Zeiten erinnern mag.

Ungetrübte Freude also bei den Grünen?

Nein, für die Partei sind die Folgen fatal. Mit Fischer sind die Grünen eine Demokratie unter Vorbehalt: Alles steht unter dem Vorbehalt seiner Zustimmung. Er hat ein System von Zuträgern und Informanten, die ihn sogar in Abwesenheit schnell informieren. Weil alle das System Fischer kennen, streckt selbst dann niemand seinen Kopf weit heraus, wenn der Außenminister gerade in New York ist. Menschen verhalten sich also anders, auch wenn Fischer nicht da ist, denn sie wissen: Es erreicht den Patriarchen.

Sie sprechen vom System Fischer. In letzter Zeit wird der einstige Sponti häufiger mit dem späten Helmut Kohl verglichen. Wie berechtigt ist der Vergleich?

Beide sind Politiker, die einen beträchtlichen Teil der Politik aus dem Bauch heraus machen. Und beide sind auf ihren Bauch als das Zentrum instinktgesteuerter Politik stolz. Fischer ist natürlich der intelligentere und in gewisser Weise auch der intellektuellere der beiden. Außerdem stützt Fischer sich zur Sicherung seiner Herrschaft mehr noch als Kohl auf Charisma. Gemeinsam ist ihnen aber die Stärke, die sie aus informeller Machtausübung ziehen. Denken Sie an das ewige Telefonieren. Ständig gibt es Rüffel oder Zuspruch per Telefon. Parteigremien sind demgegenüber zweitrangig.

Aber sie sind doch vom Typ her völlig unterschiedlich?

Vom Typ sicher, aber nicht unbedingt von der Wirkung. Wenn Fischer einen Raum betritt, dann ist der Raum sozial und kommunikativ verändert. Dem können sich nur wenige Grüne entziehen. Und jetzt denken Sie an Kohl während der kurzen Zeit, als Wolfgang Schäuble CDU-Vorsitzender war. Schäuble fühlte sich in Vorstandssitzungen gestört, wenn der Patriarch dabei war.

Wenn Ihre These stimmt, warum fliegen Fischer dann trotzdem die Herzen der Deutschen so zu? Kohl war nie so beliebt.

Kohl hat die Lager polarisiert. Fischer versöhnt. Seine Biografie lädt zur Identifikation ein– und zwar selbst frühere Gegner. Das liegt an seinem gesellschaftlichen Aufstieg – ohne Abi ins Auswärtige Amt! – ebenso wie an der symbolischen Versöhnung von Staatsmacht und Gegenmacht, wie sie sich in seiner Person darstellt. Außerdem bekleidet der Außenminister anders als Kohl, der Kanzler, ein Amt, wo er keinem Deutschen wehtun muss.

Geht es nach Fischer, wird die Partei auf Jahre hinaus von ihm bestimmt und repräsentiert. Sind die Grünen damit nicht endgültig in Gefahr, zu der Ein-Generationen-Partei zu werden, die sie nie sein wollten?

Bisher kommen immer wieder und immer noch junge Leute zu den Grünen. Für sie ist Fischer eine echte Attraktion. Über die lange Strecke kann das zum Problem werden. Auch Popstars verbrauchen sich. Das fällt jüngeren Wähler wahrscheinlich noch schneller auf als den älteren.

Wenn Fischer weitermacht bis zum bitteren Ende, riskieren die Grünen nicht, dass es irgendwann ganz dicke kommt: der Abschied von Fischer, der Abschied von der Gründergeneration und der Abschied von der Macht – alles auf einmal?

Das ist die negative Sicht der Dinge. Die positive ist, dass die Grünen sich dann wirklich neu definieren können und müssen.

2010 ?

Ja, 2010.