Freispruch für Serbiens Expräsidenten

UN-Tribunal: Vorwürfe gegen Milan Milutinović wegen Kriegsverbrechen im Kosovo nicht erwiesen. Fünf Mitangeklagte erhalten wegen Beteiligung an der Vertreibung hunderttausender Kosovo-Albaner Haftstrafen zwischen 15 und 22 Jahren

AUS SARAJEVO ERICH RATHFELDER

Überraschend hat das UN-Tribunal für Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien in Den Haag am Donnerstag den ehemaligen serbischen Präsidenten Milan Milutinović freigesprochen. Dagegen erhielten die Mitangeklagten, darunter drei Militärs und ein hoher Polizeioffizier, Gefängnisstrafen von 15 bis 22 Jahren.

Es war ein Who’s who des serbischen Regimes von damals, das sich wegen Kriegsverbrechen im Kosovo 1989/99 vor Gericht verantworten musste. Neben Milutinović, der sich im Januar 2003 seinen Verfolgern selbst gestellt hatte, war auch der ehemalige stellvertretende Ministerpräsident Nikola Sainović angeklagt. Dazu drei höchstrangige Armeegeneräle, der Chef des Generalstabs, Dragoljub Ojdanić, der im Kosovo eingesetzte Kommandeur des III. Armeekorps, Nebojsa Pavković, der Chef des Pristina-Korps Vladimir Lazarević und ein Polizeioffizier, der Chef der vom Innenministerium eingesetzten Polizeieinheiten MUP im Kosovo, Sreten Lukić.

Neben der Vertreibung von 800.000 Zivilisten warf ihnen die Anklage vor, systematisch „Terror und Gewalt“ in der ehemaligen serbischen Provinz angewandt zu haben, bei der tausende albanische Zivilisten getötet wurden. „Als Ergebnis dieser koordinierten Aktionen wurden Dörfer, Städte und ganze Regionen für die albanische Bevölkerung unbewohnbar gemacht.“ Die Angeklagten seien verantwortlich für den Granatenbeschuss von Dörfern und Städten, die Zerstörung von historischen Monumenten und von persönlichem Eigentum. Noch auf der Flucht in die Nachbarländer Albanien und Makedonien seien Flüchtlinge bedroht, geschlagen, ausgeraubt, willkürlich verhaftet und getötet worden. Der ursprünglich Mitangeklagte Slobodan Milošević war 2006 im Gefängnis des Tribunals gestorben.

Das Gericht sah im Falle Milutinović keine direkte Verbindung zu den Verbrechen. Auch bei den anderen Angeklagten machte das Gericht Abstriche. Die Anklage wegen der Verantwortung der hohen Offiziere für Vergewaltigungen wurden fallen gelassen. Die Angeklagten Sainović und Ojdanić wurden noch in anderen Anklagepunkten freigesprochen, erhielten jedoch wegen der systematischen Vertreibung der Albaner Gefängnisstrafen von 22 bzw. 15 Jahren. Der Polizeioffizier Lukić und der Kommendeur der Armeee vor Ort, Pavković, müssen 22 Jahre hinter Gitter, während der Offizier Lazarević mit 15 Jahren davonkam.

Milutinović wurde schon 1999 zusammen mit seinem Chef Slobodan Milošević angeklagt, sein Prozess verzögerte sich jedoch wegen Prozessproble- men und Veränderungen der Anklage immer wieder. 2006 musste er dann auf freien Fuß gesetzt werden, er kam jedoch zu Prozessbeginn rechtzeitig zurück. Auch einige der anderen Angeklagten hatten sich auf Druck der serbischen Regie- rung „freiwillig“ dem Gericht gestellt.

Die milden Urteile und der Freispruch von Milutinović wurden im Kosovo mit Protesten beantwortet. Milutinović habe zum engsten Kreis um Slobodan Milošević gehört, erklärten aufgebrachte Anrufer aus Prishtina, und habe über alle Vorgänge Bescheid gewusst. Einzelne Stimmen sprachen von einem politischen Urteil. „Die höchste Ebene wird verschont, die kleineren Täter jedoch verurteilt“, sagten Bürger des Kosovo dem Radio Prishtina. In der serbischen Hauptstadt Belgrad dagegen herrschte nach dem Freispruch für Milutinović Erleichterung.