Flimmern der Gegenwart

Quer über den Bildschirm gewischt: Mit seiner Ausstellung „Turbulent Screen“ zeigt das Oldenburger Edith-Ruß-Haus noch bis zum 9. November medienkritische Medienkunst in einem umfangreichen historischen Querschnitt von Fluxus und Pop Art bis zu heutigen Arbeiten

Einstellung eins: Die Putzfrau wischt den Boden. Das Bild wandert weiter. Es läuft um Säulen und Glastüren. Die Putzfrau ist jetzt im Innenraum. Glastüren wandern wie auf einer Drehscheibe, Wände wechseln wie Paravents, Tiefen dringen in die Architektur. In dem Videoloop „Smithfield 2000“ spielt Mark Lewis mit kinogeschulten Seherwartungen. Ohne sichtbare Schnitte läuft die Kamera um ein einziges, profanes Bild: Eine Putzfrau bei der Arbeit in einem Bürogebäude. Die Einstellung der Kamera scheint sich nicht zu ändern, sondern das Gebäude und die Putzfrau ziehen an der Kamera vorbei.

Schein und Sein dessen, was unser optischer Apparat zu erfassen vermag, sind Thema der Videokünstler seit Fluxus und Pop-Art. Mit „Turbulent Screen“ zeigt das Oldenburger Edith-Ruß-Haus einen durchaus historischen Querschnitt dieser medienkritischen Medienkunst, die unser Wahrnehmungsvermögen thematisiert und seine Prozesse in Frage stellt: Als „strukturellen Ansatz“ bezeichnet das die Kunstgeschichte.

Gemeint ist damit der von den späten 60er Jahren an zu beobachtende Trend, die Arbeiten nicht als erzählerisch-chronologischen Ablauf zu konzipieren, sondern anhand von künstlerischen Leitsätzen: Ein mit 80 Vorführungen binnen zwei Monaten ausgesprochen umfangreiches Film- und Videoprogramm ist daher nicht Rahmen, sondern ebenso wichtiger Bestandteil der Ausstellung wie die ständig präsenten Installationen etwa des Kanadiers Michael Snow oder des Japaners Takahiko Iimura.

Letzterer, bei der Eröffnung am 30. August anwesend, führte persönlich in seine bereits 1973 entstandene Closed-Circuit Arbeit „Register Yourself“ ein – und in das in ihr sich artikulierende Epochenproblem: Den Versuch nämlich, sich der Gegenwart bewusst zu werden, sie greifbar, erfahrbar und damit mittelbar zu machen. Durch Gegenüberstellungen mit jüngeren und jüngsten Loops und Sequenzen deutet „Turbulent Screen“ derartige in den 70er Jahren die Avantgarde-Diskussion beherrschende Ansätze konsequent als Wurzeln heutiger künstlerischer Arbeit.

Deshalb kann man die Ausstellung auch als eine Retrospektive des bisherigen Wirkens des Ruß-Hauses betrachten. Seit drei Jahren widmet sich das kleine Medienmuseum auf vielfältige Weise vor allem diesem kritischen Ansatz, ohne dabei die Lust am reinen Schauen zu verbannen. Leiterin Rosanne Altstatt und ihr künstlerischer Beirat setzen dabei immer inhaltiche Schwerpunkte, um die sich die passenden Ausdrucksmedien gruppieren. Dazu können dann durchaus auch mal reine Fotografie oder Malerei gehören: Mediale Existenzen gab’s schon vor Cyborgs und Chatroombewohnern. Mit aktuellen Arbeiten und Diskursen, vor allem aber mit seinem Performanceprogramm hat sich das Ruß-Haus so längst ein Publikum erobert, das ansonsten nicht so oft in Ausstellungen und Museen gesehen wird: Junge Leute.

In Kooperation mit der Oldenburger Carl von Ossietzky-Universität laufen regelmäßig Workshops im Fach Visuelle Kommunikation. Diese Workshops werden, wo es geht, zusammen mit den Stipendiaten des Edith-Ruß-Hauses organisiert. Dreimal jährlich wird das von der Stiftung Niedersachsen finanzierte Stipendium in Höhe von 10.000 Euro vergeben. Die Ausstellungen finanziert das Haus weitgehend über Sponsoren. Nur das Personal bezahlt die Stadt Oldenburg, die zu ihrem Haus für Medienkunst seinerzeit ganz unverhofft und damit auch zunächst unter Zugzwang gekommen war: Die 1993 verstorbene frühere Journalistin und spätere Sonderschullehrerin Edith Ruß hatte der Stadt ein Millionenvermögen vermacht – mit der Auflage, ein Haus für die Künste zu errichten. Die damalige Kulturamtsleiterin Irmtraut Rippel-Manß las hieraus den Wunsch, es müsse sich um ein Haus für aktuelle Kunst handeln, sprich: Medienkunst.

Nach anfänglicher Skepsis und einigem Rumoren, dass man doch auch so ein Haus für wirklich schöne Kunst hätte bauen können, sind die Oldenburger jetzt stolz auf ihr Haus für Medienkunst. Denn immerhin kommen viele internationale Gäste nach Oldenburg. Einmal mehr, zumal das Edith-Ruß-Haus auch mit dem Oldenburger Filmfest kooperiert – so dass einige Videoarbeiten aus dem aktuellen Programm sogar auf großen Kinoleinwänden zu sehen sein werden.

MARIJKE GERWIN/bes

Edith-Ruß-Haus für Medienkunst, Katharinenstr. 23, Oldenburg. Turbulent Screen – Die strukturelle Bewegung in Film und Video. Dienstags bis freitags 14, samstags und sonntags 11 bis 17 Uhr; bis 9. November. Weitere Infos unter: www.edith-russ-haus.de