Ligadämmerung

Werders Verdunklungstaktik ging voll auf. Nach dem Stromausfall erzielt Valdez das Siegtor erst, als für die Schalker schon Nachtruhe angesetzt war

aus BREMEN Markus Jox

Was für eine Eröffnung! Da hatten es die Chefplaner der Fußball-Bundesliga so gut mit den Fans gemeint. Hatten das Saisoneröffnungsspiel des Deutschen Meisters und Pokalsiegers Werder Bremen gegen den FC Schalke 04 eigens auf den Freitagabend vorverlegt, die ARD hatte sich für teuer Geld die Übertragunsrechte gesichert, ausgelaugte, fußballhungrige Fans strömten enthusiasmiert ins Weser-Stadion – und dann das: Stromausfall im gesamten Bremer Steintorviertel just um kurz vor halb neun, als die Partie eigentlich hätte angepfiffen werden sollen. Die Videoleinwand im Stadion erlosch und zeigte nurmehr Schwarz, die TV-Kameras hatten keinen Saft, die neuen VIP-Lounges, auf die man in Bremen so stolz ist, waren ebenfalls vom Strom abgeschnitten.

Allein: das Flutlicht leuchtete, und auch die Sonne sorgte noch für genügend Licht. Man hätte also beginnen können, jedoch: Das Fernsehen wäre nicht live dabei gewesen. Eine unerhörte Begebenheit in diesen Zeiten. Bundesligafußball ohne Kameras, ohne Super-Zeitlupe, ohne Spielfeldrand-Interviews? Wo kämen wir denn da hin! Also warteten „die Verantwortlichen“ lieber erst einmal ab. Und von der Stadionbande griente den Fans sarkastisch die Werbung der Bremer Stadtwerke entgegen: „Voller Energie! Für Bremen!“

Auslöser für den Stromausfall war eine defekte Verbindungsstelle im Stromnetz, die einen Kurzschluss ausgelöst hatte.

Die Stadtwerke arbeiteten „fieberhaft“ daran, das Problem zu lösen. In viel Schweiß gebadete Funktionäre hasteten jetzt die Stadion-Treppen empor und eilten zur „Krisensitzung“. Mit dabei: Werder-Sportdirektor Klaus Allofs, sein Schalker Pendant Rudi Assauer, der den Bremern mit schnödem Mammon Ailton und Mladen Krstajic weggeschnappt hatte. Feuerwehr, Polizei und die Herren der Glotze. Sowie die unvermeidlichen Fußball-Funktionäre, die Namen wie Hackmann oder Straub tragen und stets ein sehr wichtiges Gesicht machen.

Gerade als sich die Herren durchgerungen hatten, das Spiel auch ohne TV-Übertragung starten zu lassen, „exklusiv für Sie hier im Stadion“, wie man den Fans mitteilte, erlosch - wie zum Hohn - auch noch das Flutlicht: Bundesligadämmerung in Bremen, große Ratlosigkeit allenthalben. „Das zeugt eben vom Zustand der öffentlichen Infrastruktur in Bremen“, ätzte ein garstiger Medienmensch, vermutlich aus Hamburg. Und auf der Pressetribüne machte sich das Gerücht breit, dass nicht etwa eine Power-Baustelle, sondern „Computer-Hacker“ hinter dem saftlosen Stadion stünden. „Das gibt zwei richtig fette Seiten in der BamS“, frohlockte der Mann von der Bums-Bild schon einmal. Und die Fans? Die holten ihre Feuerzeuge raus, schwenkten sie und sangen: „Oh, wie ist das schön...“ Nach 66 Minuten schließlich, angeblich zwei Minuten bevor „die Verantwortlichen“ die Partie ganz absagen wollen, ging das Flutlicht wieder. Und der Referee pfiff an.

Das eigentliche Fußballspiel geriet ob der irrlichternden Umstände zum Randereignis. Für Werder-Beobachter gab es manches Déjà-vu-Erlebnis: So stolperte Ailton, den die Bremer Fans mit Jubel begrüßt hatten, wie in seinen schlechteren Tagen an der Weser recht verloren vor dem gegnerischen Strafraum herum und wartete vergeblich auf Traumpässe eines Schalker Micoud. Valérien Ismael hätte, nachdem ihn sein neuer Innenverteidigungs-Kollege Frank Fahrenhorst angeschossen hatte, beinahe wieder ein Eigentor erzielt. Und Trainer Thomas Schaaf, der zur neuen Saison nicht mehr in der oll-grauen Werder-Jacke, sondern mit einem feschen T-Shirt mit der Rückennummer 12, die in Bremen für „die Fans“ steht, erschien, bewies einmal mehr ein glückliches Händchen. Mitte der zweiten Halbzeit wechselte er den emsig-erfolglosen Neuzugang Miroslav Klose aus und schickte mit dem jungen Nelson Valdez jemanden aufs Spielfeld, den Schaaf einen „Jungen mit Herz“ nennt. Prompt staubte Valdez in der 83. Minute zum 1:0-Siegtreffer ab. „Das war für mich ein perfekter Abend. Ich will in meinem ganzen Fußballer-Leben aber nicht ein Joker sein“, stellte Valdez seinen Anspruch nach dem spätesten Treffer aller Zeiten auf einen Stammplatz dar.

Den Schalker Fans war das egal. Einer von ihnen brachte es aphoristisch auf den Punkt: „Jedes Mal die gleiche Scheiße hier in Bremen.“