Deutsche enorm hitzebeständig

In Deutschland hat der Sommer anders als in Frankreich nicht zu überfüllten Leichenschauhäusern geführt. Experten erklären dies mit einer strengeren Kontrolle der Altersheime durch die Gesundheitsbehörden. Auch das Personal ist gut ausgebildet

von NINA MAGOLEY

Sie nennen es ein „Drama“, eine „Katastrophe“, vergleichbar mit den Auswirkungen eines schweren Erdbebens. Über 11.000 meist ältere Menschen hat die Gluthitze der letzten Wochen in Frankreich dahingerafft. Noch immer liegen die Toten zu hunderten in improvisierten Leichenkühlhäusern.

In Deutschland ist eine solche Katastrophe ausgeblieben – obwohl auch hier Millionen Junge und Alte tagelang bei über 40 Grad schwitzten. Experten erklären dies mit der besseren Ausbildung des deutschen Pflegepersonals und der vergleichsweise scharfen Kontrolle der Alten- und Pflegeheime durch die deutschen Gesundheitsbehörden.

Zwar gab es auch in Deutschland vereinzelt auffällige Todesfälle – in Darmstadt und Karlsruhe starben innerhalb weniger Tage mehrere Bewohner von Altenheimen an einem Fieber. Insgesamt jedoch vermelden die Gesundheitsbehörden fast aller Bundesländer für die letzten beiden Monate keine erhöhten Todesraten. Das Robert-Koch-Institut in Berlin hat inzwischen Fragebögen an alle Bundesländer verschickt, um mögliche Unregelmäßigkeiten zu erfassen. Bisher gebe es aber keine Anhaltspunkte dafür, dass während der letzten Wochen in Deutschland mehr Menschen verstorben seien als sonst zu dieser Jahreszeit, erklärte eine Sprecherin.

Sorgen die Deutschen besser für ihre Alten? „So schlecht, wie das deutsche Pflegesystem hier immer geredet wird, kann es wohl doch nicht sein“, stellt Axel Schramm, Chefarzt der Geriatrischen Klinik Bayreuth, fest. Zweifellos habe die Hitze auch in deutschen Krankenhäusern und Altenheimen bei älteren Menschen vermehrt zu Austrocknung und Infektionen geführt. Aber inzwischen sei das Pflegepersonal „gut geschult für solche Krisensituationen“. So sei in den Heimen und Kliniken konsequent für Flüssigkeitszufuhr „über den Durst hinaus“ gesorgt worden. Auch das Kurzzeitpflegesystem der Krankenkassen schaffe mehr Sicherheit bei der Versorgung alter Menschen. Für eine Selbstbeteiligung von 50 Prozent können pflegebedürftige Angehörige vorübergehend in Heimen untergebracht werden, wenn die Familie Urlaub macht. Man habe begriffen, so Chefarzt Schramm, „dass die weniger werdenden familiären Pflegepersonen bei der Stange gehalten werden müssen“.

Klaus Hager, Professor für Geriatrie an der Uniklinik Hannover, verweist darauf, dass die Altenheime in Deutschland unter einer strengen Aufsicht der Gesundheitsbehörden stehen. „Wenn bei einem Verstorbenen ein Druckgeschwür entdeckt wird, das den Verdacht auf Versäumnisse des Pflegepersonals nahe legt, ist ganz schnell die Staatsanwaltschaft zur Stelle“, sagt Hager. Dies führe zu einem sehr sorgsamen Umgang mit den Pflegebedürftigen. Dass die Hitze der letzten Wochen für alte Menschen gefährlich gewesen sei, sei keine Frage. „Da hat man in Frankreich nicht aufgepasst“, meint er. Und ist überzeugt: Mit mehr Aufmerksamkeit wäre „ein Großteil der Fälle medizinisch beherrschbar gewesen“.

Der Altersexperte Schramm vermutet zudem ein anderes „Einweisungsverhalten“ französischer Hausärzte und Altenheime. In Deutschland werde mancher alte Mensch selbst dann noch mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus gebracht, wenn klar sei, „dass hier ein Leben am Ende angekommen ist“. Ein Altenpfleger in Paris, so Schramm, würde in einem vergleichbaren Fall vielleicht auf weitere Maßnahmen verzichten. Ab einem gewissen Lebensjahr nehme das Risiko, zu sterben, einfach zu. „Wenn ein alter Mensch an Hitze stirbt, heißt das nicht automatisch, dass jemand etwas falsch gemacht hat.“