Kleider als Ideenträger

„Ich bin ein Jäger und Sammler des Alltäglichen“: Der in Berlin lebende Modedesigner Frank Leder erzählt mit seiner spröden und kargen Mode Geschichten von der Heimat, Geschichten von einer schwer zu greifenden Vergangenheit. Ein Atelierbesuch

VON KATRIN KRUSE

Wer nach Frank Leder auf der Suche ist, der sollte sich nach dem Spaten umsehen. „Frank Leder“ steht da, den roten Spaten darunter aber hat man zuerst gesehen. Er weist den Weg ins Atelier, zweiter Hinterhof, Kreuzberg. Vor zwei Jahren ist Frank Leder von London nach Berlin umgezogen; er hat zwei Abschlüsse vom St. Martins College mitgebracht, sieben Jahre Erfahrung mit dem Modemachen und ein Symbol: den Spaten. „To call a spade a spade“, so lautet eine englische Redewendung. Wie ist das, wenn einer in der Mode die Dinge für das nimmt, was sie sind?

Das Atelier teilt sich in Areale. Hinten Kleiderstangen, weiter rechts Schnittmuster, dazwischen Entwurfstische; es wird gearbeitet. Die Herren-Sommerkollektion 2005 ist gerade fertig geworden, die Auslieferung des kommenden Winters beginnt. Felle liegen auf dem Boden, der Schnitt schon aufgezeichnet. Da ist die Ecke mit den kleinen Pappkisten voller Knöpfe und die mit den Stapeln von Magazinen. Dazwischen sitzt der junge Mann mit dem rotblonden Bart und schwarz bedrucktem Shirt. Eine Krawatte darauf und rechts von ihr, wie das Trenchcoat-Innere eines fliegenden Händlers, Uhren, Uhren. „Mode ist ein Transportmittel für Ideen“, sagt Frank Leder. Dass man Mode im Gegensatz zur Kunst auch besitzen könne, einfacher besitzen könne, fasziniert ihn. Und er setzt gleich nach: „Meine Mode ist keine Kunst. Eine Hose ist eine Hose.“ Mode ist Aussage mit Funktion, und ein Kleid kann eine Idee nur transportieren, wenn es als Kleid funktioniert: wenn es sitzt, gut verarbeitet ist, tragbar für eine Weile, weit über die Saison hinaus.

Mehr Mode, weniger Unterhaltung. Das sollte auch für die Präsentation der Sommerkollektion 2005 im Juli in Paris gelten. Auf der Einladung zu „The blind leading the blind“ fand sich ein unerwarteter Halbsatz: „Closed to fashion press and buyers“. Wem sonst aber zeigt man auf einer Pariser Schau, wenn nicht Presse und Einkäufern? Leders Defilee fand statt – nur eben nicht inmitten des illustren Modegemenges. Stattdessen präsentierte er seine Entwürfe einem Publikum aus Blinden, und die Show war, ungewöhnlich für den 30-jährigen Modemacher, eine Show: „Normale Models, schlechte Musik: wie man das so kennt.“ Presse und Einkäufer durften sie am nächsten Tag sehen – als Dokumentation in einer Galerie. Voilà.

Jetzt hängt der kommende Winter, „Brotfeld“, mit dem nächsten Sommer vermischt auf Stangen, und dort findet sich auch der Spaten wieder. Als Taschenform auf den Leinenshirts, als Rückenansicht auf der Lederjacke. Seit zwei Saisons gibt es auch eine Damenkollektion, die für Herren allerdings ist umfangreicher. Da ist ein hellbrauner Rollkragenpullover, wer ihn aufrollt, wird vollbärtig: gedruckt allerdings. Da ist ein Baumwollanzug aus blauem Nadelstreif, der durch die etwas tiefer gezogene Taille, die tiefer liegenden Taschen fast die Anmutung eines Gehrocks bekommt. Eine andere, grünliche, warme, hat die Taschen auf verschiedenen Höhen: Ein wenig verzupft wird der Träger in ihr sein.

Eine leichte Jacke ist mit Leinen halb gefüttert, innen fast kostbarer als außen. Zum fahlbeigen Mantel aus mercerisierter Baumwolle, Raglanärmel, leicht ausgestellt, gibt es einen rostigen Nagel dazu. Den schlägt man zu Hause in die Wand, und dann wird der Mantel am Schlafittchen aufgehängt. Die kleine Beule erzählt schon jetzt davon.

Frank Leders erste Kollektion entstand noch aus dem College heraus, kurze Zeit später hingen seine Sachen in einem Laden im Londoner Soho, wo sie ein japanischer Agent entdeckte. Seither verkauft er auch in Japan. Ob Japan sein wichtigster Markt sei? Der wichtigste, sagt Frank Leder, sei der europäische. „Man ist nur so stark auf dem asiatischen Markt, wie man präsent ist auf dem europäischen.“ Leder hat einen Agenten in Japan, ein Pressebüro in London, denn Präsenz meint weniger Verkaufszahlen als Fotostrecken. Im Hintergrund stapeln sich die Magazine. Frank Leder ist ziemlich präsent.

Wer im Ausland gelebt hat, sagt Leder, bekäme ein anderes Verhältnis zur Heimat. Er könnte auch sagen: überhaupt eines. Heimat ist ein alter Klang, und auch Leders Entwürfe spielen ins Vergangene, ohne dass ganz zu greifen wäre, warum und wohin. Vielleicht die Stoffe – „Deutsches Erzeugnis“, wie es im Label heißt, das ist auch das Ausgangsmaterial: Leinenjersey aus Holstein, Moleskine aus der Niederlausitz. Materialien von matter Färbung wie durch jahrelanges Sonnenlicht, die ein wenig spröde wirken und bisweilen fast karg. Vielleicht die alten Knöpfe, die traditionelle Fertigungstechnik. Der in Fraktur gestempelte Name.

„For this garment Vintage1930s buttons have been used“, ist auf den Pappschildern der Winterkollektion zu lesen, die dieser Tage im Laden von Andreas Murkudis inmitten ausgewählter Designer in der Münzstraße zu sehen ist. Man mag sich denken, dass er im Zurückwenden romantisiert. Man mag Unbehagen empfinden, wenn „Vintage 40s buttons“ plötzlich zum modischen Feature werden. In jedem Fall aber schafft Frank Leder eines: Er erinnert daran, was Mode kann: erinnern.

Er sei ein „Jäger und Sammler des Alltäglichen“, hat Frank Leder einmal gesagt – was er sammelt, sind Geschichten. Seine Mode erzählt sie nach oder neu. Von der Jacke mit den Spänen erzählte ihm ein alter Herr, wie er fror und sie mit Holzspänen ausstopfte. Den Kaschmirpullover mit Überraschungslöchern, halb Kaschmir, halb Polyester, steckte Leder in eine Kiste mit Motten. Ein einziger Anzug der nächsten Sommerkollektion wird für eine Weile auf dem Dachboden eines Taubenzüchters hängen. Die Folgen – „hier, dort wird es sich wohl auf den Schuhen konzentrieren“ – wird man herauswaschen, doch Spuren werden bleiben. Mode ist „unser täglich Brot“, so heißt es auf dem Plakat zum kommenden Winter: ein Hemd, eingebacken in ein Brot. Irgendetwas vollzieht sich immer an ihr.

Lokal arbeiten, international präsent sein: Derzeit verkauft Frank Leder in 45 Läden weltweit. Einen eigenen plant er nicht. Das sei langweilig. Wenn, setzt er nach, dann müsste das ein kleiner Laden sein – vielleicht im Harz, wo die Fotos für die Sommerkollektion entstanden sind und es Orte gibt wie den Drachenfelsen oder den Hexentanzplatz.

Ein schönes Fachwerkhaus, halbtags geöffnet, darin eine Oma, die über die Entwürfe wacht. Und vielleicht käme dann ein asiatischer Tourist, der sich mit Deutschlandkarte und geliehenem Auto auf den Weg gemacht hat, den Laden zu finden: Frank Leder lächelt, abmildernd. Versponnen, gewiss. Aber es ist eine Geschichte, wie sie ihm gefällt. Fast könnte er sie selbst erzählen – mit einem seiner Stücke.