berliner szenen Weddinggänge

Restschnee-Suche

Die fleckigen Winterstiefel schlapfen durch Taupfützen und schieben schwarz gewordenen Schneematsch beiseite. Eklig, wenn der Schnee geht. Schlittern kann man auch nicht mehr, und so bleibt ein trostloses Trotten durch die neue Umgebung. Wedding. Ein Londoner Freund war entzückt über den Namen und stellte sich einen Stadtteil mit rosafarbenen Dächern auf blitzweißen Tortengusshäusern vor. Die Müllerstraße ist graubraun, leichter Regen nieselt, und ich suche den Schnee von gestern.

Im Schillerpark werde ich fündig. Eine große Wiese, umrandet von einem Pfad, den sich an schöneren Tagen Jogger und Hundebesitzer teilen; eine festungsartige Ummauerung der Statue Friedrich Schillers, und von den Zweigen der Platanen hängen noch ein paar tischtennisballgroße Früchte herab. Und hier ist der Schnee. Die ganze weiße Restpracht des Weddings scheint sich auf die Wiese zurückgezogen zu haben. Um die Unheimlichkeit dieser ungeheuerlichen Tatsache zu verstärken, hängt weißer Nebel über der Fläche, sodass ich die Umrisse der Bäume auf der gegenüberliegenden Seite kaum ausmachen kann. Fast schneeblind umrunde ich die Wiese.

Aus der Ummauerung heraus dringt laut eine Männerstimme, sie klingt beinahe kreatürlich, über den außer mir menschenleeren Park. „So eene Scheiße! Da wirste ja varrückt“! Die Stimme, der Nebel, der Schnee. Ich gehe lieber heim. An der Müllerstraße Ecke Brüsseler ist eine Prügelei im Gang. Zwei Männer, dazwischen eine Frau mit blauschwarzem Haar und blauem Lidschatten. Eine Schachtel Zigaretten, ein Feuerzeug fallen zu Boden. Passanten bleiben stehen. Gucken. Einer zieht ein Handy und ruft die Polizei an. Er trägt eine blitzweiße Daunenjacke.

KIRSTEN REINHARDT