Hartz IV belebt Montagsdemos

Tausende Menschen protestieren in Magdeburg und Dessau gegen geplante Arbeitsmarktreform. Weitere Montagsdemos geplant. Kinder-Sparbücher kein Tabu bei neuem Arbeitslosengeld II

MAGDEBURG/BERLIN afp/taz ■ Die Menschen im Osten kehren zu alten Traditionen zurück. Am Montag haben in Magdeburg und Dessau mindestens 7.000 Demonstranten gegen die Arbeitsmarktreform Hartz IV protestiert. Sie forderten mit den Slogans „Hartz IV muss weg“ und „Wir sind das Volk“ den sofortigen Reformstopp. Ab Januar 2005 sollen Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf dem Niveau der Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II zusammengelegt werden.

Wie zu Wendezeiten sollen die Demonstrationen künftig immer montags stattfinden. In Magdeburg führte der Protestmarsch vom Dom zum Hauptbahnhof; nach Polizeiangaben nahmen rund 5.500 Menschen teil. Bei der ersten Montagsdemonstration vor einer Woche waren nur 600 Menschen gekommen. Ein Privatmann hatte den Protest organisiert – er ist selbst von den bevorstehenden Kürzungen betroffen.

Für nächsten Montag hat inzwischen der Deutsche Gewerkschaftsbund seine Hilfe angeboten. „Wir wollen den Druck der Straße nutzen, um das zu korrigieren, was in den politischen Gesprächen nicht geklappt hat“, sagte Sachsen-Anhalts DGB-Chef Udo Gebhardt.

Gleichzeitig soll sich der Protest auf weitere Städte ausdehnen. Die Veranstalter hoffen, dass am 3. Oktober schließlich mindestens eine Million Menschen in Berlin gegen Hartz IV demonstrieren werden. Konkret sind schon die Pläne für Leipzig: Die Gemeinde der Nikolaikirche – des Zentrums der Vorwendeproteste – gab bekannt, dass sie am 30. August ein Sonderfriedensgebet mit anschließender Demonstration plane.

Für neue Empörung sorgte gestern die Erkenntnis, dass bisherige Arbeitslosenhilfeempfänger damit rechnen müssen, dass künftig auch die Sparbücher ihrer Kinder herangezogen werden. Ab Januar darf der Nachwuchs bis 14 Jahre nur noch 750 Euro besitzen – sonst bekommt er nicht das neue Sozialgeld.

Wie das Münchner Institut für Jugendforschung schon 2003 ermittelte, geben 85 Prozent der Kinder zwischen sechs und zwölf Jahre an, dass sie Ersparnisse besitzen. Durchschnittlich rund 449 Euro. Hinzu kommen noch Ausbildungsversicherungen, die dann aufgelöst werden müssen.

Für die Mehrzahl der Familien von Arbeitslosenhilfebeziehern dürfte sich kaum etwas ändern. Denn schon heute bekommen viele Arbeitslosenhilfeempfänger mit Kindern ergänzende Sozialhilfe, weil die Leistung vom Arbeitsamt allein zu niedrig ist. In der Sozialhilfe galt aber bisher, dass der Nachwuchs nur ein Vermögen von maximal 256 Euro besitzen darf. Die neuen Anrechnungen bei Hartz IV betreffen daher „vor allem Leute mit Kindern, die bisher keine ergänzende Sozialhilfe bezogen“, sagte Klaus Pohl, Sprecher der Bundesagentur für Arbeit in Berlin der taz. SAT, UH, BD

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