Gewürzt, flambiert, serviert

Aus bandstrategischer Perspektive ein wichtiger Schritt: „Mein Teil“, der neue Song der professionellen Provokateure Rammstein, setzt sich moralphilosophisch tief schürfend mit dem interessanten Thema Kannibalismus auseinander

Endlich scheinen Rammstein mal wieder alles richtig zu machen. Das Besteck auf dem Singlecover, die angemessen grobianische Verwurstung der popmusikalisch bislang eher vernachlässigten Kannibalismus-Thematik, der umwerfend großartige Titel „Mein Teil“. Dabei musste man zuletzt noch den Eindruck bekommen, dass die Band irgendwie schwächelte. Das Album „Mutter“ bot nur noch beklagenswert wenig Angriffsfläche und handelte von der blassen Problematik des Klonens, der auch professionelle Provokateure offenbar nichts wirklich Provokantes abgewinnen konnten. Darauf war auch der dumme Titel „Links 234“ zu hören, mit dem sich Rammstein inhaltlich gegen die überflüssigen wie hartnäckigen Faschismusvorwurf verwehrten – was aus bandstrategischer Perspektive natürlich ein unverzeihlicher Fehler war.

Doch offenbar haben Rammstein sich erholt. „Mein Teil“ scheint wieder alles zu bieten, was ein ordentlicher Rammstein-Song braucht. Auch die Moralbeauftragten von B.Z., Bild und Spiegel zeigten sich rundum zufrieden und erklärten ihrer Leserschaft, was an der Single eigentlich so erschreckend skandalös ist. Beanstandet wurde dabei zunächst das Thema an sich. Darf man Lieder über Kannibalismus singen, zumal wenn Kinder diese hören und davon derart beeinflusst werden, dass sie unter Umständen hinterher ihre Zähne in unbescholtene Spielkameraden schlagen? Und wenn man möglicherweise über Kannibalismus singen darf, ist es denn nicht auch die künstlerische Pflicht, auf die unschönen Folgen der praktizierten Menschenfresserei hinzuweisen, als da wären: Magenverstimmung, Knast oder Tod? Und muss man dem so genannten Kannibalen von Rotenburg, Armin Meiwes, der im vergangenen Jahr den Berliner Jürgen Brandes feierlich verspeist hat, auch noch ein musikalisches Denkmal setzen?

Das sind gewiss Fragen, die bis in die Tiefen der Moralphilosophie reichen, selbstverständlich wurden sie von Rammstein-Mitglied Flake bereits in tief schürfender Weise beantwortet. Wie man bei MTV.de lesen kann, sagte er: „In ‚Mein Teil‘ wird die Geschichte so erzählt, wie sie stattgefunden hat, dass ein netter Mensch – Armin – übers Internet einen Freund gesucht hat, den er lieben und essen kann. Ob man seinen Freund liebt und isst, ist für mich noch was anderes, als wenn man ein Schwein isst, das nicht gefragt wird. Oder ob man Bomben auf ’ne irakische Hochzeitsgesellschaft schmeißt.“

Und weil das was anderes ist, beziehen sich Rammstein im schönen Schlussbild des Videos auch auf die Erinnerungsfotos der Folterer von Bagdad und lassen sich an Hundeleinen aus der U-Bahn-Station Deutsche Oper führen. Aber was hat damit eigentlich die Deutsche Oper zu tun? HARALD PETERS