Schwedens Rat für Schröder

aus Stockholm REINHARD WOLFF

„Du musst das gleich und auf einem Schlag durchziehen“, soll Ministerpräsident Göran Persson seinem deutschen Parteifreund Gerhard Schröder im letzten Jahr geraten haben. Aus eigener Sanierungserfahrung. Denn Perssons Sozialdemokraten muten den SchwedInnen schon seit Mitte der 90er-Jahre eine Selbstbeteiligung beim Gang zum Arzt zu.

Je nach Wohnort werden in Schweden beim Allgemeinarzt zwischen 11 und 15 Euro fällig. Beim Facharzt klettert die Pauschale auf 14 bis 25 Euro. Auch die Zeiten kostenlosen Krankenhausaufenthalts sind vorbei. Hier ist das Einkommen für die Zuzahlung entscheidend. Höchstens wird jedoch eine Beteiligung von täglich rund 8 Euro fällig. Und auch für die insgesamt anfallenden Arztkosten gibt es eine Höchstgrenze: Mehr als 100 Euro muss niemand pro Kalenderjahr dafür ausgeben.

Die Einführung und stetige Anhebung des Eigenanteils wird als wesentlicher Grund dafür gesehen, dass sich der Anstieg der Kosten des Gesundheitswesens in den letzten zehn Jahren bei jährlich unter 2 Prozent hielt. Mit einer Ausnahme. Die Kosten für Zahn- und Zahnersatzbehandlung stiegen zwischen 1998 und 2002 um 40 Prozent an. Die Regierung versuchte zuerst, diesen Sektor für eine freie Preissetzung zu öffnen. Was dazu führte, dass sich die Zahl der Zahnärzte kräftig erhöhte. Die damit steigende Konkurrenz führte allerdings nicht zu einem Preisdruck, sondern im Gegenteil zu einem weiteren Preisschub. Mindestens 40 Euro müssen jetzt für eine einfache Zahnuntersuchung gezahlt werden, aller Zahnersatz ist aus eigener Tasche zu finanzieren – es sei denn, man schließt eine teure Zusatzversicherung ab.

Wenn Schweden jetzt oft als Beispiel einer gelungenen Sanierung des Gesundheitswesens gelobt wird, übersieht man meist die negativen Auswirkungen auf Service und Arbeitsmarkt: Da Personal eingespart wurde, muss der Patient oft monatelang auf eine Operation warten.

Und auch politisch musste Göran Persson Federn lassen. Seine Partei hat Mitglieder wie WählerInnen verloren. Die exkommunistische Linkspartei konnte ihren Stimmenanteil in den Reformjahren verdoppeln und verdreifachen. Wenn Persson letztendlich doch im Amt blieb, nicht nur 2002, sondern auch bei den Wahlen 1998, als die Einschnitte noch wesentlich deutlicher spürbar waren, dann vor allem wegen einer fehlenden Alternative.

Dabei hatte es der Ministerpräsident bei seiner Gesundheitsreform viel einfacher als Bundeskanzler Schröder. Denn das schwedische Sozialsystem wird über Steuern und nicht wie in Deutschland über Abgaben von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanziert. Ein privater Gesundheits- und Pflegesektor existierte damals praktisch nicht. So konnte Persson zentral und von oben eingreifen, ohne Rücksicht auf eine Vielzahl von Behörden, Kassen und Interessenverbänden zu nehmen. Bei einem über Steuern finanzierten Gesundheitssystem entfiel zudem die pädagogische Aufgabe, zu erklären, warum neben saftigen Krankenversicherungsbeiträgen auch noch eine Eigenleistung gezahlt werden soll. Ein Hinweis auf die Grenzen des Staatsbudgets genügte.

Eine entscheidende Rolle bei der ohne große gesellschaftliche Proteste umgesetzten Reform kam den Gewerkschaften zu. In diesen sind rund 80 Prozent der SchwedInnnen organisiert, und so sehen sie es traditionell als ihre Aufgabe an, „gesamtwirtschaftliche Verantwortung“ zu übernehmen. So gewöhnten sich die SchwedInnen, die bis dahin einen Staat kannten, der ihnen alles kostenlos liefert, erstaunlich schnell daran, dass sie für ihre Gesundheit nun kräftig in die Tasche greifen müssen.