Abgeschoben in die Fänge der Schlepper

Auf Spurensuche nach den „Klaukindern“: Hamburger Experten aus Sozialarbeit und Politik forschen in Rumänien nach Kindersklaven, die der Senat zurückverfrachten ließ. Doch statt ins Heim kamen die Jungen und Mädchen ins Dauerelend

Von EVA WEIKERT

Als sie einmal mit dem Taxi nachts durch Bukarest fuhren, kam bei einem Ampelstopp ein bettelnder Junge ans Auto getorkelt. Er war höchstens sechs Jahre alt und wirkte, wohl vom Klebstoffschnüffeln, wie besoffen. Der Taxifahrer bemerkte nur: „Der lebt noch zwei Jahre“, bevor er wieder aufs Gaspedal trat. Ein anderes Mal saßen sie in einem Straßencafé der rumänischen Hauptstadt, als ein streunendes Kind sie um Almosen bat. Sie schenkten ihm Gummibärchen und beobachteten dann, wie ein älterer Straßenjunge dem Kleinen die Haribo-Tüte entriss.

Diese Szenen haben sich Anke Wagener ins Gedächtnis eingegraben. Der Vormund für Flüchtlingskinder bei der Diakonie Blankenese hat sie kürzlich mit Hamburger Sozialarbeitern, Vertretern des Jugendamts und der GAL-Abgeordneten Antje Möller in Rumänien erlebt. Die Gruppe hatte sich auf Spurensuche nach Mädchen und Jungen begeben, die in Hamburg als „Klaukinder“ Schlagzeilen gemacht hatten. Menschenhändler hatten sie hierher gebracht und zum Stehlen gezwungen (siehe Kasten).

Im Winter waren die letzten von etwa 50 Kindersklaven in ihre Heimat abgeschoben worden, wo das Ceaucescu-Regime Elend und Chaos hinterlassen hat. Wie von der Hamburger Innenbehörde ausgehandelt, sollten sie in Bukarest im Heim „Pinnocchio“ Obdach finden, das vom Hamburger Verein „Kinderluftbrücke“ unterstützt wird. Doch dort sind sie nie untergekommen.

Die Rumänienbesucher wissen nur von drei Kindern, die den Weg ins Heim fanden, es aber gleich wieder verließen. „Manche kriegen auch gar keinen Platz“, so Regine Itzwerth vom Rauhen Haus. Häufig aber verlören sich die Spuren der abgeschobenen Kinder schon am Flughafen. „Sie gelangen in genau die gleiche Ausgangslage zurück“, warnt Wagener von der Diakonie, „aus der sie mit Gewalt hierher verbracht oder zur Flucht getrieben wurden.“

Oftmals ist das die Familie. Denn durch die Dauerkrise in dem südosteuropäischen Land, in dem die meisten mit etwa 80 Euro im Monat auskommen müssen, sind viele Familien zerrüttet und bitterarm. Hauptleidtragende sind die Kinder, von denen Tausende auf der Straße und in Katakomben leben. Wer nicht vor der Gewalt zu Hause ausbricht, der droht von den Eltern an Diebesbanden verkauft oder einem guten Bekannten für einen „Ferienjob“ im Westen überantwortet zu werden.

Doch weil die rumänische Regierung nach weltweiten Berichten über die Kinderverwahranstalten der Ceaucescu-Diktatur sich vom Heimsystem verabschiedet und noch keine Alternativen etabliert hat, geht für die Rückkehrer das Elend von vorn los. „Es gibt keine Auffangeinrichtungen für die Kinder“, warnt Wagener, Hamburg aber schiebe sie in Familien ab, „die ja oft Mittäter sind“.

Die Hamburger haben in Rumänien zwei ehemalige „Klaukinder“ besucht, die wieder in ihren Familien leben. „Sie machten den Eindruck völliger Perspektivlosigkeit“, sagt Anette Sültz von der Erstaufnahmeeinrichtung für unbegleitete Kinderflüchtlinge in Groß Borstel. Weil Gewalt in den Familien herrsche und zugleich Massenarbeitslosigkeit im Land, „halten die es zu Hause wohl nicht lange aus und machen sich wieder auf den Weg nach Westeuropa“. Es „genügt nicht, die Kinder zurückzuführen“, mahnt darum Irmela Schmidt vom Jugendamt Nord, die Stadt müsse gewährleisten, „dass sie in Rumänien Lebensperspektiven erhalten“.

Dazu schlägt die Gruppe, die auf eigene Faust und Kosten reiste, jetzt rumänisch-deutsche Kooperationen im Bildungsbereich vor. In Hamburg aufgegriffene Kinder sollten hier Ausbildungen beginnen, die sie bei rumänischen Trägern beendeten. „Man muss den Kinder genau so strukturiert Hilfe bieten“, so GALierin Antje Möller, „wie die Polizei deren Schlepper verfolgt.“