Ukrainischer Russensoul, unplugged: Das Duo „5‘Nizza“ in der Fabrik
: Die Jungs mit der Gitarre

Machen wir uns nichts vor: Den Einblick, den der deutsche Musikliebhaber von moderner osteuropäischer Populärmusik hat, ist beschränkt. Zwar haben sich in den letzten Jahren nach dem Vorbild der Berliner Russendisko in vielen Großstädten erfolgreich Tanzveranstaltungen etabliert. Oft wird dort eine wilde Mischung aus durchgedrehtem Zigeuner-Ska, Balalaika-Rock-n-Roll und elekronisch verstärkter Blasmusik aufgelegt, die dem urbanen Feiervolk den reichlich ausgeschenkten Wodka in Kopf und Beine treibt. Doch die Mixe der versierten DJs repräsentieren eher den schmutzigen Untergrund der jungen osteuropäischen Musikszene.

Der erfolgreiche Mainstream in Russland und anderen Ländern Osteuropas dagegen ist für die meisten hiesigen Ohren weiterhin eine terra inkognita. Eine spannende Gelegenheit, sich mit echten Stars des russischen Musikgeschäfts vertraut zu machen, bietet jetzt der vom umtriebigen Datscha-Projekt organisierte Auftritt von 5‘Nizza (spricht sich pjatnitsa und bedeutet schlicht Freitag). Das sind zwei sympathische ukrainische Mittzwanziger, die im letzten Jahr das Kunststück fertig gebracht haben, nur mit einer Akustikgitarre bewaffnet der Übermacht der gitarrenverstärkte Blasmusikorchester zu trotzen, die bisher in Russland den Ton angaben.

Angesichts des reduzierten Instrumentariums ist die Vielfalt der Musikrichtungen beeindruckend. Souverän lässt das Duo soulinspirierte Nummern in Rapeinlagen übergehen. Dabei klingen vor allem die russisch getexteten Reggae- und Bossa-Nova-Miniaturen dermaßen rund und überzeugend, als seien diese Musikstile ursprünglich an der sonnigen Schwarzmeerküste und nicht an den Stränden von Jamaika und Brasilien entstanden. In Interviews betont Sänger Andrey Zaporozhets zwar, noch nie auch nur in die Nähe des Mutterlandes des Reggae gekommen zu sein, doch der Vibe, mit dem sein Gesang an die großen Stimmen des Roots-Reggae erinnert, lässt zumindest einen jamaikanischen Großonkel zweiten Grades vermuten.

Ebenso ungewöhnlich wie ihr Songmaterial klingt, liest sich die Erfolgsgeschichte der beiden aus Charkov auf der Krim stammenden Musiker. Vor zwei Jahren stürmten sie für einen spontanen Auftritt die Bühne eines lokalen Festivals und von dort aus ziemlich direkt in die Herzen und Hirne der russischen Musikfans. Ohne Airplay auf MTV, das inzwischen auch in Russland Musikmeinung macht, schafften es die beiden, den „Preis für die Senkrechtstarter des Jahres 2003“ abzuräumen und die Clubs in Russland und der Ukraine bis zum letzten Platz zu füllen. Ihre Songs werden vom begeisterten Publikum Wort für Wort mitgesungen, die Debütplatte verkauft sich prächtig. Man darf gespannt sein, ob der handgemachte ukrainische Russensoul auch in westeuropäischen Gehörgangen zündet.

Michael Unterberg

Donnerstag, 21 Uhr, Fabrik