Sei street wise!

Und lass dir bloß nicht auf die Schliche kommen! Der Filmemacher und Videokünstler Michel Auder zeigt bei Scheibler/Mitte die Installation „Heads of the Town“. Ein Bilderbuch für Städtebewohner

VON BRIGITTE WERNEBURG

Im vergangenen Jahr war er mit „The Feature“ auf der Berlinale vertreten, einem Dreistundenbiopic, das ihn als Filmemacher, Junkie und Lebenspartner von Celebrities wie Viva Superstar oder Cindy Sherman zeigte. Jetzt ist Michel Auder wieder in Berlin und bestreitet eine Soloshow bei Scheibler/Mitte. „Heads of the Town“ heißt seine Installation, die aus sieben Videos und zehn Fotoprints beziehungsweise Mixed-Media-Arbeiten besteht.

Wenn der Experimentalfilmer und Mitbegründer der Anthology Film Archives in New York, Jonas Mekas, Michel Auder einen Dichter nennt, dann ist „Heads of the Town“ das „Bilderbuch für Städtebewohner“, um seinen Kollegen Bertolt Brecht zu paraphrasieren. Beide Autoren verbindet übrigens, dass sie für ihre Poetik eine grundlegende Anforderung der Metropole produktiv machen, die da heißt: sei street wise. Lass dir nicht auf die Schliche kommen. Zeig nur im Notfall, wie gefährdet – und wie gefährlich du bist.

Zwar zeigt der 1944 in Soisson in Frankreich geborene Künstler immer, wie gefährdet und wie gefährlich er ist, seitdem er mit Beginn der 80er-Jahre erstmals seine Filme öffentlich vorstellte. Dennoch sind dabei nur wenige andere so street wise wie er, der schon als Kind eine Filmkamera besaß. Und weil er spätestens als Jugendlicher nicht mehr leben konnte, ohne sich dabei zu filmen, fiel es gar nicht weiter auf, dass er „immer eine auf Aufnahme geschaltete Kamera als Teil seines Lebens, seiner Augen und seiner Hände“ dabei hatte, wie sich Jonas Mekas an Auder erinnerte, als der in den 60er-Jahren zusammen mit Viva im Dunstkreis von Andy Warhols Factory aufschlug.

In Paris war er Mitglied von Zanzibar gewesen, einer Gruppe von Filmemachern um Philippe Garrel, die auch als die „Dandies von 1968“ bezeichnet wurden. 1970 in New York legte sich Auder dann eine der ersten tragbaren Videokameras zu, und es gelang ihm, in Form seiner Videotagebücher, ein großes Archiv des dortigen Undergrounds zu schaffen.

In „Head of the Town“ allerdings gibt es nur wenig Hinweise auf diesen Hintergrund, etwa in den alten Kontaktabzügen, auf die man eingangs trifft und auf denen John Lennon und Yoko Ono, Kris Kristofferson oder die Malerin Alice Neel zu erkennen sind. Aber auch jetzt zeigt „Shopping Heads“ (1990/2009), ein kurzer, in Rom durch die Schaufensterscheiben gefilmter Loop, einen begnadeten Voyeur, der direkt neben den Frauen zu stehen scheint, in deren Händen Perlen und Juwelen rieseln oder teure Lingerie glänzt. Eine besondere Distanziertheit, die trotz der eigentlich zudringlichen Kamera in den Bildern durchbricht, verleiht „Shopping Heads“ – wie den anderen 2- bis 14-minütigen Clips auch – eine inszenierte Qualität, jenseits der strengen Dokumentation, aber auch jenseits des amateurhaft-verspielten Privatvideos.

Es ist eben längst nicht alles privat, was Michel Auder filmt, selbst wenn das Material seinem Privatleben entstammt. Nicht ohne Grund bestehen viele seiner Arbeiten aus abgefilmten Fernsehbildern, als grundlegendem Bestandteil unserer alltäglichen medialen Lebenswirklichkeit. Und so ist dann auf einer weiteren Reihe von „Untitled“-S/W-Kontaktabzügen der typische Fernsehbildschirm zu erkennen und darauf wiederum der junge Eric Bogosian, inzwischen durch „Law & Order: Criminal Intent“ international bekannt.

Erstaunlicherweise nur wenige Fernsehbilder hat Michel Auder in „The Town“ (1999) dazwischengeschnitten, vor allem die nicht, die man heute zu sehen erwartet. Denn in „The Town“ filmt er von seinem Studio aus die Skyline von Downtown Manhattan. Er beobachtet durch die Kameralinse, wie die Flugzeuge oder Helicopter scheinbar zwischen den Türmen, auch denen des World Trade Centers, hin und her zu schweben beziehungsweise direkt in sie hineinzufliegen scheinen. Gerade weil der Film 9/11 und die brennende Türme nicht zeigt (wobei man sich sicher ist, dass Michel Auder auch diese Bilder in seinem Archiv verwahrt), wirkt „The Town“ extrem dramatisch. Für den Schauder reicht der Nebel, den Auder beobachtet, wenn er wie Rauch um die Zwillingstürme weht.

Auch hier verzichtet der Künstler wie bei seinen anderen Arbeiten auf die Tonspur, eine Entscheidung, die viel zur konzentrierten Stimmung der Ausstellung beiträgt. Die einzige Ausnahme von der Regel trägt berechtigterweise den Titel „Talking Head“ (1981). Unter den üppigen Hanfpflanzen in einer Art Wintergarten ist ein kleines Mädchen zu sehen, das mit einer Folienverpackung spielt und dabei vor sich hin brabbelt: „The thing never came back again. It wasn’t the same thing. That thing. Was nice.“

Es handelt sich um das kurze Videoporträt seiner Tochter, deren Singsang tatsächlich große poetische Qualität hat. Nach Art der Städtebewohner tippt Michel Auder nur an, was da passiert, wenn das Mädchen über das Ding sinniert, das nicht wiederkommt, und damit gelingt ihm mit dem kurzem Film wirklich ein Gedicht.

Bis 7. März, Michel Auder, „Heads of the Town“, Scheibler/Mitte, Charlottenstr. 2, Mi–Sa 11–18 Uhr; Screenings mittwochs: 25. Feb. und 4. März 20 Uhr