Mund abputzen und weiter

Schalke 04 kassiert eine mit 1:4 noch relativ glimpflich ausgefallene Klatsche bei Werder Bremen, wo langsam eine gepflegte, wenn auch von norddeutschem Stoizismus infiltrierte Euphorie ausbricht

Rudi Assauer hing der Tabak-Phallus recht schlaff im Mundwinkel

aus Bremen MARKUS JOX

Mit einem kleinen Transparent fing alles an. In der Westkurve des Weserstadions, dort, wo der Fanblock der Gäste ist, prangten zu Beginn des Bundesligaspiels zwischen Werder Bremen und Schalke 04 am Samstagnachmittag die acht Buchstaben, die das ganze Elend der Gastgeber symbolisieren sollten: „Pasching“. Gegen das weithin unbekannte Team aus der oberösterreichischen Provinz war Werder hochkant und hochnotpeinlich aus dem UI-Cup geflogen, Schalke wiederum hat sein Final-Hinspiel ebendort klar gewonnen. Doch sehr, sehr schnell rollten die Schalker Anhänger ihr Spruchband wieder ein. Und gut zwei Stunden später sollte Manager Rudi Assauer, dem der Tabak-Phallus an diesem Tag recht schlaff im Mundwinkel hing, sagen: „Wir haben heute gespielt wie Bremen gegen Pasching.“

Und das war nach der herben, in der Höhe absolut verdienten 1:4-Klatsche gegen Werder keineswegs übertrieben. Denn das, was Jupp Heynckes’ Team, das in diesem Jahr und auch unter diesem Trainer bislang in den Pflichtspielen noch ungeschlagen war, an der Weser ablieferte, war desolat. Dicke Patzer in der Abwehr, keine Ideen im Mittelfeld, stumpfe Spitzen. Auch von „Jung-Star“ Hamit Altintop, der nach nur drei Bundesliga-Spielen bereits mit einem Porträt auf der hehren Seite 3 der Süddeutschen Zeitung geadelt wurde, war rein gar nichts zu sehen. Der Neuzugang aus Wattenscheid enttäuschte ebenso wie die Agalis, Sands oder Asamoahs. Leid tun konnte einem der Ex-Bremer-Keeper Frank Rost: Nach nur 35 Minuten musste er zum dritten Mal den Ball aus seinem Tor tragen: Werder hatte den Sieg früh perfekt gemacht und konnte sich fortan dem schönen Spiel und der Zauberei widmen.

Schließlich passierte etwas, was man in Bremen schon lange nicht mehr erlebt hatte. In der 63. Minute erschien plötzlich eine „Blitz-Tabelle“ auf der Video-Leinwand, und die Zuschauer rieben sich verdutzt ihre Äuglein. Werder als Tabellenführer – zuletzt war das vor acht Jahren, in den goldenen Rehhagel’schen Zeiten, der Fall gewesen. „Steht auf, wenn ihr Bremer seid“, skandierte es von den Rängen, und sogar auf der Haupttribüne, wo sonst die dauermosernden Dauerkartenbesitzer das Regiment führen („Beweg dich doch endlich mal, Ailton“), folgte man berauscht dem Befehl aus der Fan-Kurve und brachte dem Team gerührt Standing Ovations dar.

Zu diesem Zeitpunkt zauberten die Bremer meisterhaft, angeführt von ihrer launischen Mittelfeld-Diva Johan Micoud, die – wenn es läuft – traumhaften Fußball zelebrieren kann. Neben Micouds Zuckerpässen und dem allzeit torgefährlichen Ailton hat Werder Bremen vor allem drei Neuzugängen seine Selbstsicherheit zu verdanken: Da ist zum einen der 34-jährige Torhüter Andreas Reinke, der eine ungeheuere Ruhe ausstrahlt. Der Franzose Valérien Ismaël stabilisiert die Werder-Abwehr und baut das Spiel mit klugen Pässen auf. Und der Mannheimer Türke Ümit Davala hat sich in kurzer Zeit gut integriert.

„Das ließ sich unheimlich gut anschauen“, kam Bremens Trainer Thomas Schaaf über die Lippen – und wer dem sonst so knurrigen, einsilbigen Blonden aus dem Norden häufiger zuhört, der weiß, dass solch ein Satz aus seinem Mund einer nachgerade impertinenten Schwärmerei gleichkommt. Sportdirektor Klaus Allofs, auch ein vergleichsweise stilles Wasser, ließ sich sogar zu noch mehr hinreißen: „Wir stehen ganz oben, jetzt kann von mir aus auch mal ein bisschen Begeisterung aufkommen.“

Schalkes neuer Trainer Jupp Heynckes, der seinem „Osram“-Ruf einmal mehr alle Ehre machte, als er während der Partie mit hochrotem Kopf am Spielfeldrand stand und irgendwelche Linien in die Luft zeichnete, war hinreichend bedient. „Wir haben in dieser Höhe völlig verdient gewonnen“, verhaspelte sich der neue Trainer unmittelbar nach dem Spiel, um dann aber klare Worte zu sprechen: „Die Bremer waren uns fußballerisch klar überlegen, dem haben wir nichts entgegenzusetzen gehabt.“ Eine „Sache des Kopfes“ sei es wohl gewesen, „Konzentration und Frische haben gefehlt“, analysierte der Fußball-Lehrer. Klar sei die Schalker Leistung „eine mittlere Katastrophe“ gewesen, sagte Manager Assauer, die Niederlage hätte auch noch „ein bisschen höher sein können.“ Doch Heulen und Zähneklappern helfe jetzt auch nicht weiter: „Mund abputzen, und weiter geht’s.“

Werder Bremen: Reinke - Davala, Ismael, Baumann (83. Friedrich), Stalteri - Borowski (70. Banovic), Ernst, Lisztes - Micoud - Ailton, Charisteas (78. Haedo Valdez) Schalke 04: Rost - Hajto, Alcides (59. Kläsener), Waldoch, van Kerckhoven - Poulsen - Asamoah (56. Pinto), Altintop, Kobiaschwili (71. Rodriguez) - Agali, Sand Zuschauer: 34.500; Tore: 1:0 Charisteas (14.), 2:0 Borowski (28.), 3:0 Ailton (35.), 4:0 Haedo Valdez (81.), 4:1 Agali (82.)