Das Renten-Orakel

Expertenstreit: Bekommen die meisten Jüngeren später nur noch eine Rente in Höhe der Sozialhilfe?

von BARBARA DRIBBUSCH

Jüngere Menschen, die wissen wollen, wie viel Rente sie im Alter noch erhoffen dürfen, müssen eine Recherche starten wie beim Geheimdienst. Für einen Expertenstreit sorgt jetzt der Abschlussbericht der von der Bundesregierung eingesetzten Rürup-Kommission, der am Montag beschlossen wird. Während Wirtschaftswissenschaftler behaupten, viele jüngere Menschen hätten künftig nur noch eine Rente in Höhe der Sozialhilfe zu erwarten, wird das von Kommissionschef Bert Rürup energisch bestritten.

Nach den Vorschlägen der Kommission wird die Rente künftig im Verhältnis zu den Nettolöhnen sinken. Laut Abschlussbericht soll das Renteneintrittsalter angehoben werden und ein so genannter Nachhaltigkeitsfaktor die Rentensteigerungen dämpfen. Die Kaufkraft der RentnerInnen aber, so die frohe Botschaft der Rürup-Kommission, werde dennoch „nicht zurückgehen“. Die so genannte Standardrente soll preisbereinigt immer noch steigen (siehe Kasten).

Das hört sich gut an. Der Wirtschaftswissenschaftler Winfried Schmähl von der Universität Bremen macht jedoch eine andere Rechnung auf: Danach mindern die Rürup-Vorschläge die Renten so weit, dass im Jahr 2030 ein Durchschnittsverdiener 34 Jahre geackert haben müsste, um überhaupt nur eine Rente in Höhe der geltenden Sozialhilfe zu bekommen. Derzeit ist nach 26 Jahren durchschnittlicher Einzahlung ein Altersgeld auf dem Niveau der Sozialhilfe erreicht. „Da werden sich viele Jüngere sagen: Ich bin doch nicht blöd! Warum zahle ich überhaupt ein in die Rentenkasse?“, sagte Schmähl der taz.

Eine „Grundsicherung“ bekommt man heute schon ohne Rentenbeiträge. Menschen über 65 Jahre, die keine oder nur eine sehr geringe Rente erhalten und über kein Vermögen verfügen, bekommen die so genannte Grundsicherung im Alter, eine Stütze, die in etwa auf Höhe der Sozialhilfe liegt. Die Kinder werden nicht zum Unterhalt ihrer alten Eltern herangezogen. Die Grundsicherung liegt derzeit bei 337 Euro plus der Erstattung von Wohnkosten.

„Bert Rürup verschweigt, dass die meisten Rentenbeitragszahler künftig nur noch eine Grundsicherung aus dem System erhalten werden“, rügt auch Stefanie Wahl, Wissenschaftlerin am Institut für Wirtschaft und Gesellschaft (IWG) in Bonn, das von dem Sozialphilosophen Meinhard Miegel geleitet wird.

Kommissionschef Bert Rürup jedoch zieht die Rechnung von Schmähl in Zweifel. Die jährliche Erhöhung der Sozialhilfe orientiere sich seit Mitte der 90er-Jahre an dem Anstieg der Renten, nicht wie zuvor an der Erhöhung der Löhne. „Deswegen kann nach geltendem Recht eine Dämpfung des Rentenanstiegs nicht dazu führen, dass man mehr Beitragsjahre benötigt, um auf eine Rente in Höhe der Sozialhilfe beziehungsweise Grundsicherung im Alter zu kommen“, sagte Rürup zur taz.

Nun ist es wenig tröstlich, zu wissen, dass auch der Sozialhilfesatz gemeinsam mit den Renten im Verhältnis zu den Nettolöhnen sinken wird. Zudem gründen Schmähl und Wahl ihre düsteren Voraussagen auf die berechtigte Annahme, dass künftig viele Leute vor dem geplanten neuen Renteneintrittsalter von 67 Jahren in Rente gehen. Dann aber müssen sie nach den Rürup-Vorschlägen mit hohen Abschlägen rechnen.

Der Abschlussbericht der Rürup-Kommission soll im Herbst zur Grundlage werden, wenn die Bundesregierung über eine neue Rentenreform berät. Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD) hat die Rürup-Vorschläge bisher „wohlwollend“ zur Kenntnis genommen.