Schüler erzählen, wie die DDR unterging

In Altglienicke präsentieren Schüler eine Plakatausstellung über die Revolution 1989 und die deutsche Einheit. „Ich wusste nicht viel über die Probleme der Bürger in der ehemaligen DDR“, sagt die 16-jährige Vera Rappsilber

Nervös halten zwei Schülerinnen der zehnten Klasse kleine Karteikarten in den Händen. In wenigen Minuten beginnt ihre erste Führung durch eine Ausstellung. Im Anne-Frank-Gymnasium in Altglienicke präsentieren sie 20 Plakate zum Thema „20 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“.

Konzipiert und realisiert wurde die Ausstellung von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Hertie-Stiftung. Die DIN A 1 großen Plakate stellen die wichtigsten Ereignisse um die Wende dar: die Fälschung der DDR-Kommunalwahlen im Mai 1989, die Massenproteste im Herbst darauf, den Mauerfall, die Wiedererlangung der deutschen Einheit und die Erinnerung daran. Die Idee, die Ausstellung ins Anne-Frank-Gymnasium zu holen, kam von der Berliner SPD-Abgeordneten für Altglienicke und Adlershof, Ellen Haußdörfer: „Die Ausstellung soll Anreize schaffen, sich näher mit dem Thema zu befassen“, sagte sie der taz.

Tatsächlich haben in den vergangenen Monaten verschiedene Studien darauf hingewiesen, dass Jugendliche heute erschreckend wenig über die jüngere deutsche Geschichte, vor allem über die SED-Diktatur, wissen. Das galt bis vor kurzem auch für die Klasse 10-3 des Anne-Frank-Gymnasiums – und das, obwohl die Schule direkt am ehemaligen Grenzstreifen liegt. „Ich wusste nicht viel über die Probleme der Bürger in der ehemaligen DDR“, sagt die 16-jährige Vera Rappsilber nach der Eröffnung der Ausstellung. Ähnlich geht es der 17-jährigen Lisa Zimmermann, die mehr über den Mauerfall erfahren wollte. „Ich habe auch nicht gewusst, dass damals Wahlen gefälscht wurden, um den Schein zu bewahren.“

Die Schüler bekamen im Geschichtsunterricht je ein Plakat zugeteilt und hatten vier Wochen Zeit, sich über die Hintergründe des jeweiligen Themas zu informieren. „Unser Lehrer hat dann in der Klasse gefragt, wer die Plakate präsentieren will“, erzählt Lisa. Neben ihr und Vera meldeten sich vier weitere Schüler.

Am Dienstagnachmittag ist es so weit, die Ausstellung wird in einem Flur der Schule eröffnet. Obwohl Vera und Lisa nervös sind, stehen sie selbstsicher vor ihrem Publikum. Vera begrüßt die etwa 50 Anwesenden – vor allem Eltern, Lehrer, Schüler und Ehemalige. Abwechselnd erklären die beiden Mädchen die Plakate und worum es in der Ausstellung geht. Sie erzählen zum Beispiel die Geschichte von den letzten russischen Soldaten, die aus der DDR abgezogen wurden; oder vom Begrüßungsgeld und wie die ersten türkischen Obsthändler in den Osten kamen; oder wie Helmut Kohl am 3. Oktober 1990 die deutsche Nationalhymne sang.

Nach rund 20 Minuten haben es die Mädchen geschafft, die Führung ist beendet. Positive Rückmeldungen kommen aus dem Publikum, von ihren Eltern und Lehrern. Und auch von der 18-jährigen Schulsprecherin Paula Georgi: „Die Führung haben sie sehr gut gemacht. Ich hoffe aber, dass sie ihre Informationen nicht nur auswendig lernen.“ Sie findet es toll, dass die Ausstellung in ihrer Schule ist, weil es Leute anzieht und das Schulprofil erweitert.

Kritisch beurteilt Elternvertreter Martin Fiebig den Inhalt der Ausstellung: „Es wird der Eindruck vermittelt, dass jeder im Osten gleich die DM gehabt hätte, aber die musste man aus dem Westen erst holen.“ Fiebig hätte sich genauer herausgearbeitete und weitere Details gewünscht.

Die Ausstellung wird bis zum 30. April im Gymnasium bleiben. Bis dahin sind auch Zeitzeugengespräche und szenische Lesungen geplant. Es gibt also genug Gelegenheiten für Lisa und Vera ihr neu gewonnenes Wissen weiterzugeben. FRANZISKA BÖHL