Das Straßenbild

Die Reklamerezension. Heute: Schlüpfer und sonst gar nichts

Vorbildlich. Die Nachricht dieser indischen Werbung ist eindeutig: Hier gibt es Unterhosen. Ohne Lifestylebudenzauber. Weder der eigene Familienname noch irgendein Brand, für das man nur draufzahlt, wird in den Vordergrund gestellt. Werbung noch vor aller Dekonstruktion. Saussure in Reklamesprache. Oder noch besser: Vielleicht ist dieser Rollladen gar nicht rückschrittlich, sondern raffiniert. Postdekonstruiert. Also wieder zusammengesetzt und mit Sinn.

Die westliche Werbebotschaft stellt uns alltäglich an U-Bahn-Haltestellen, Straßenrändern und Litfaßsäulen kryptische und unlösbare Rätsel. Unlängst zierte ein viele Quadratmeter großes Plakat eines italienischen Klamottenherstellers eine Fassade der Berliner Humboldt-Uni. Darauf ein ähnlicher Ausschnitt wie hier, nur diesmal der eines weiblichen Körpers. Aus dem Tau-benetzen Höschen der abgelichteten jungen Dame qualmte zudem noch eine kleine Cartoonrauchfahne. Das Meer im Hintergrund sollte wohl Freiheit suggerieren. Der Sinn des Qualms, vielleicht von einer im letzten Moment vor Eltern oder Betreuern im Bikinislip versteckten Zigarette herrührend, konnte hingegen vom Betrachter nicht entschüsselt werden. Brennt mir das Höschen, wenn ich Sisley trage?

Wie beruhigend zu sehen, dass sich andere Völker von so etwas befreit haben. Dieser Händler in Margao, Goa, scheut sich nicht vor der Wahrheit: Sein Unterhosenmodel hat ein bisschen Bauch, den er nur mühsam einhält, und so eine richtig prall gefüllte Front ist dem Herren auch nicht gegönnt. Ein flacher, schwach hellblauer Bogen deutet gnadenlos das Verborgene an. Auch die paar Härchen fallen weder in die Kategorie androgyner Adonis noch behaarter Hasselhof. Man kann sich gut vorstellen, dass der Mann, der in diesem Höschen posiert, ein völlig netter und normaler Mensch ist. Schade nur, dass der Laden geschlossen ist.

JUDITH LUIG