Eine besondere Type

Dietrich Tietz hält nicht sehr viel von Computern. Sie haben seinen Beruf abgeschafft. Im Laden des Schreibmaschinenmechanikers stehen alte „Olympias“ neben „Triumph Maturas“. Ein Ortstermin

VON JOHANNES GERNERT

Es gab mal eine Zeit, in der das Schreiben noch ein lautes, fast ohrenbetäubendes Handwerk war. In dieser Zeit wurden Texte von Sekretärinnenheeren in Schreibstuben regelrecht aufs Papier gehämmert. Es klapperte eine Zeile lang, dann klingelte es kurz, dann ratterte das eingespannte Papier zurück, dann klapperte es wieder bis zum Klingeln. Das Maschinenschreiben hat erheblich an Lautstärke eingebüßt, seit kaum noch Bögen eingespannt werden und das weiße Blatt meist ein Dokument auf dem Bildschirm ist.

Als Schreiben noch laut war, da war der Schreibmaschinenmechaniker ein mächtiger Mann. Er kannte jedes Einzelteil der lärmenden Tippwerkzeuge. Er wusste, warum eine Type klemmte, warum der Wagen wackelte oder weshalb sich der Schlitz ausgeweitet hatte, auf den die Typen einprasselten. Er verstand die Schreibmaschine. Je leiser die Geräte wurden, desto kleinlauter musste auch der Schreibmaschinenmechaniker werden. Plötzlich waren da elektrische Schaltkreise, und die Geräte wurden ihm ein bisschen fremd. Ganze Maschinenteile mussten zur Reparatur eingeschickt werden. Spätestens mit der Erfindung des Computers war er endgültig machtlos geworden. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass Dietrich Tietz nicht allzu viel von Computern hält.

Sie haben ihn nicht nur entmachtet. Sie haben ihn auch viele Kunden gekostet. Sie haben vor allem seinen Beruf abgeschafft. Schreibmaschinenmechaniker werden nicht mehr ausgebildet. Die Lehrlinge heißen jetzt anders. Sie machen etwas anderes. Dietrich Tietz sitzt in seinem Schöneberger Laden, ein blauer Kittel über dem weißen Kragenhemd, und erläutert die Vorzüge von Schreibmaschinen. Formulare beispielsweise könne man doch mit einem Computer gar nicht ausfüllen. Sehen Sie, sagt sein Blick, und er nickt langsam. Ein Punkt für die Schreibmaschine. Oder mal andersrum gedacht: Manchmal sieht Dietrich Tietz Sendungen über Computer im Fernsehen. Was da alles passieren kann. Eine Schreibmaschine dagegen stürzt nicht ab, die braucht keine Abwehrsoftware. Eine Schreibmaschine kann man nicht vom Internet aus angreifen, um Passwörter zu klauen und Daten zu stehlen. „Früher hätten sie einbrechen müssen und den Tresor aufschweißen. Das ist heute alles ganz einfach geworden, da geht das per Knopfdruck von einer Dorfklitsche aus“, sagt er.

Manche Firmenchefs haben Dietrich Tietz’ Bedenken geteilt. Er kennt einen, der hat, als er die ersten Computer gekauft hatte, die Bücher parallel geführt. Die ersten paar Jahre wurde alles auf den Rechnern gespeichert und zusätzlich auf der Schreibmaschine getippt. Heute haben die Betriebe höchstens noch eine Schreibmaschine, wenn überhaupt. Wegen der Formulare eben. Eine einzige Schreibmaschine muss nicht so oft gewartet werden. Es sind auch nur noch eine Hand voll Betriebe, die Tietz betreut. 20 etwa. Es waren mal deutlich mehr. „Das Fünffache etwa“, sagt er. Er sagt es ganz leise, als wäre es ein bisschen auch seine Schuld.

Es muss Dietrich Tietz nicht weiter stören, dass Schreibmaschinen aus der Mode gekommen sind. Er ist in Rente, seit „vielen Jahren“. Sein Auskommen ist gesichert. Sollte der Hauswirt die Miete erhöhen wollen, wird er den Laden wohl dichtmachen. Es gibt natürlich keinen Nachfolger. Ein bisschen lässt sich der Niedergang des Schreibmaschinenschreibens an Tietzs Schaufensterdekoration ablesen. Da stehen fast ausschließlich gebrauchte Maschinen mit Schildern, die „Gelegenheit, 49 Euro“ sagen. Um die Geräte herum sind Blumen angebracht. Friedhofsfarbene Blumen. Im Grunde ist „Breitkreutz Büromaschinen“ ein Schreibmaschinenfriedhof. Ins Positive gewendet, könnte man den Laden ein Museum nennen. In einem Holzregal reihen sich verschiedene Entwicklungsstufen der Schreibmaschine aneinander. Ein geschichtlicher Abriss in Auszügen.

Da ist etwa eine schwarze, alte, englische, auf der „War Finished“ steht. Das müsse wohl Kriegsfertigung heißen, vermutet Tietz, Erster Weltkrieg. Die hat einer vorbeigebracht, der in eine kleinere Wohnung ziehen musste. Da hat Tietz sie in Zahlung genommen. Er macht das häufig. Auch wenn Computer angeschafft werden, landen die ausgesonderten Maschinen oft bei ihm. Er sagt, er wird sie wieder los. Ältere Menschen, die Computer für verdächtig halten, kaufen bei ihm ein. „Wenn die alte Maschine kaputt ist oder geklaut wurde.“ Vielleicht ist sein Laden kein Friedhof, vielleicht ist er eher ein Übergangsaltersheim.

Eine grünliche Olympia ruht auf dem Fußboden. Daneben eine Triumph Matura, eine „Spitzenmaschine“. Genauso wie die tiefschwarz glänzende Continental gegenüber. In den Dreißigerjahren war die bei den Sekretärinnen „als beste Maschine angesehen“. „Die Damen“ schätzten sie wegen des angenehmen Schreibgefühls, wegen der Leichtigkeit, der Schnelligkeit. Über der verchromten Continental aus den Wanderer-Werken in Schönau-Chemnitz steht „Mietmaschine“ auf dem Holz des Regals. Nun gut, das sei nun wirklich nicht mehr der Fall, sagt Tietz. Früher, sicher, früher, als die Maschinen nicht 180, sondern um die tausend Mark gekostet hätten, da wurden sie auch vermietet. Aber wie viel Miete soll man für eine Maschine verlangen, die im Gelegenheitskauf keine 50 Euro kostet?

Reparatur und Wartung haben Verkauf und Vermietung als Hauptaufgaben abgelöst. Gerade hat er eine Olympia fertig gemacht. „Die war nur durchzusehen. Typen säubern. Fetten, ölen, dass sie wieder voll einsatzfähig ist“, sagt Tietz. Die Olympia war eine „88er Breitwagen“. „Auf den Wagen können extrabreite Formulare gespannt werden“, erklärt er. Bis zu 88 Zentimeter. „Das muss natürlich seitlich gestützt werden, sonst kippt die Maschine weg, wegen des Gewichts.“ Mit Olympia kennt sich Tietz aus. Er hat „auf der Olympia“ gelernt in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs und in den ersten Nachkriegsjahren, bei der Olympia-Generalvertretung in Berlin, hat Maschinen demontiert und wieder zusammengesetzt. Viele hat er auch entrostet. Maschinen, die jemand aus den Trümmern geborgen hatte.

Olympia stellte in Erfurt her, nach der Teilung dann in Wilhelmshaven. Wenn sich etwas verändert hatte an der Mechanik, wurde das in Schulungen mitgeteilt. Eine Schreibmaschine war früher mal ein ziemlich kompliziertes Gerät – verhältnismäßig. Das Schrittschaltwerk musste stimmen. Bei jedem Anschlag durfte sich das Papier nur um exakt eine Einheit nach rechts bewegen. Auch die „Typenführung“ und die „Wagenführung“ mussten passen. Waren die Buchstaben schlecht aufgelötet, saßen sie schief auf dem Papier. Wackelte der Wagen, sahen die Sätze aus, als hätte ein Betrunkener sie geschrieben. Ungerade, unregelmäßig, nicht präzise auf einer Linie. „Im entscheidenden Moment des Abdrucks soll die richtige Stelle gewährleistet sein“, sagt Tietz. Wenn der Typenhebel falsch fällt, muss er ihn richten.

Irgendwann gesellte sich zur Mechanik die Elektrik. In den USA gab es von IBM schon länger elektrische Maschinen. Eine Graue steht in Tietzs Laden neben dem Schreibtisch. In Deutschland wurde erst gegen Ende der Sechzigerjahre mit Elektronik aufgerüstet. Tietz holt eine Platine, eine grüne Platte mit Drähten und Batterien darauf. Diese verdrahteten Schaltkreise zwangen den Schreibmaschinenmechaniker in die Kapitulation. Man konnte höchstens den Trafo selbstständig auswechseln. Wenn es an dem nicht lag, ging die Platine zurück ins Werk. Dann kamen die Computer. Es gab nur noch Platinen, Chips, Platten, und kaum noch Typen und Wägen. „Das hat unserem Umsatz großen Abbruch getan“, sagt Tietz. Nach und nach. Er sagt keine Zahlen. Er sagt stattdessen, dass er sich manchmal ein bisschen freut, wenn er von all den Dingen hört, die einem mit Computern passieren können. „Diese Viren und Würmer, die da draußen rumschwirren.“ Reine Schadenfreude, sagt er.