Nigerias Demokraten suchen Demokratie

Bürgerrechtler, die jahrzehntelang gegen Nigerias Militärdiktatoren stritten, sind vom gewählten Präsidenten Obasanjo enttäuscht. Der bekannte Menschenrechtsanwalt Gani Fawehinmi ist heute ein scharfer Gegner des neuen Systems

Mehr Armut und mehr Opfer politischer Gewalt als zur Zeit der Diktatur

AUS LAGOS HAKEEM JIMO

Das Anwaltsbüro verwandelt sich allmählich in ein Museum. Fotos und eingerahmte Zeitungsauschnitte aus den 70er-, 80er- und 90er-Jahren hängen an den Wänden. „Gani verklagt Militärregierung“, „Gani aus dem Gefängnis entlassen“ lauten die Überschriften. Sie halten die Erinnerung an den jahrzehntelangen Kampf von Nigerias streitbarstem Menschenrechtsanwalt lebendig: Gani Fawehinmi, denn alle seine Mitarbeiter in der Bürovilla in Lagos einfach „Chief“ nennen.

Dieser traditionelle Titel wird in Nigeria verdienten älteren Bürgern einer Gemeinde gegeben. Aber das ist zunächst das Einzige, das Fawehinmi mit den alten, elitären Strukturen Nigerias verbindet. Der Mittsechziger prangert unerschrocken undemokratisches Verhalten der Regierungen an – egal ob bei den Militärdiktaturen früherer Jahrzehnte oder bei der 1999 demokratisch gewählten Regierung von Präsident Olusegun Obasanjo. Und heute ist der „Chief“ wieder in seinem Element.

„Wir haben hier keine Demokratie, auch wenn das die internationale Gemeinschaft nicht wahrhaben will“, schimpft der charismatische Anwalt im Gespräch mit der taz. „Das hier ist eine Pseudodemokratie. Die Regierung hält sich nicht an demokratische Regeln, wenn es ihre Interessen angeht. Präsident Obasanjo ist ein Diktator.“

Viele derjenigen, die während der Militärherrschaft große Opfer auf sich nahmen, um für Menschenrechte und Demokratie zu kämpfen, sind von Obasanjo enttäuscht. Sie sehen den Unterschied zwischen zivilen und militärischen Herrschern nur in der Kleidung: traditionelles Gewand anstelle der khakifarbenen Uniform. Ansonsten herrsche bei den Mächtigen dieselbe Ignoranz gegenüber den Problemen der stetig ärmer werdenden Bevölkerung wie früher. Heute leben mehr Nigerianer als bei der Demokratisierung 1999 unterhalb der Armutsgrenze.

Über 10.000 Menschen sind seit der Demokratisierung durch politisch motivierte Gewalt getötet worden – ein viel höherer Blutzoll als während der Diktatur. Hochburgen der Gewalt liegen im Norden des Landes, wo christliche und muslimische Volksgruppen regelmäßig zusammenprallen; auf den Ölfeldern des Nigerdeltas, wo sich lokale Milizen immer wieder Feuergefechte mit der Regierungsarmee liefern; und neuerdings im Zentrum des Landes, wo der muslimische Norden und der nichtmuslimische Süden aufeinander stoßen. Nach hunderten von Toten im zentralen Bundesstaat Plateau rief der Präsident dort im Mai den Notstand aus aus. Der Gouverneur wurde abgesetzt und durch einen Exgeneral ersetzt. Symbolisch war das ein Eingeständnis des Scheiterns der zivilen Autorität.

„Das war absolute Willkür“, urteilt Fawehinmi. „Solch drastische Schritte sind nicht zu rechtfertigen.“ Ein Gesinnungsgenosse von Fawehinmi sagt, man habe gehofft, dass der zivile Präsident Obasanjo ein anderer sein würde als der Militärdiktator Obasanjo in den Jahren 1976 bis 1979. „Aber wir haben uns getäuscht“, findet er.

Mit der Demokratisierung seien die kritischen Stimmen aus der Zivilgesellschaft zunächst leiser geworden, schrieb ein Kommentator vor kurzem in einer nigerianischen Tageszeitung. Aber jetzt seien sie wieder so laut wie in Zeiten der Militärregierung. Andere sagen, dass die Zivilgesellschaft die Kontrollfunktion des Parlaments übernommen habe. „Innerhalb der offiziellen politischen Institutionen werden wir ausgebootet“, sagt Fawehinmi, der bei den von Obasanjo gewonnenen Präsidentschaftswahlen 2003 mit einer eigenen Partei antrat. „Also müssen wir auf die Straße. Das Recht dazu gibt uns die Verfassung. Aber auch das versucht diese Regierung zu vereiteln.“

Noch bevor im Mai in Plateau die ethnische Gewalt eskalierte, organisierte Fawehinmi eine Demonstration in Lagos zusammen mit anderen Pro-Demokratie-Legenden wie Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka. „Auf der Demonstration wurden wir systematisch mit Tränengas niedergemacht“, erinnert sich Fawehinmi. Auch eine Kundgebung der größten Oppositionsparteien zwei Wochen zuvor in der Hauptstadt Abuja wurde von der Polizei gewaltsam unterdrückt.

Die alten Kämpen des Widerstands gegen die Diktatur tun sich gegen Obasanjo zusammen – eine Strategie fehlt. Fawehinmi ist pessimistisch: „Wir Nigerianer wollen keine Militärherrschaft. Aber diese Art von Demokratie ist auch nicht besser. In diesem Land kann man sein Leben nur genießen, wenn man ein erfolgreicher Karrieremensch ist oder von der Regierung Geschäftsaufträge bekommt.“

Die zentrale Forderung der Bürgerrechtler ist eine ganz alte: eine „souveräne Nationalkonferenz“, bei der Nigerias komplette staatliche Ordnung zur Disposition steht und zwischen den gesellschaftlichen Gruppen aller Landesteile eine neue Verfassung ausgehandelt werden könnte. Vor dem Hintergrund der Gewalt in vielen Regionen des Vielvölkerstaats könnte das ein Rezept zur Versöhnung sein, finden heute wieder viele. Aber die Regierung will nichts davon wissen und sagt, Nigeria habe schon ein gewähltes Parlament. Vor allem Obasanjo will um keinen Preis die politische Struktur des bevölkerungsreichsten Landes in Afrika verändert sehen. Er befürchtet, dass die nationale Einheit dann auf dem Spiel steht. Aber dem gewählten Parlament stehen viele Nigerianer skeptisch gegenüber, was vor allem an der Korruption liegt.

Politischer Gewinner der verfahrenen Situation ist ein Exdiktator, zugleich einer der reichsten Männer Nigerias. Ibrahim Babangida, der das Land von 1985 bis 1993 regierte und durch die Annullierung freier Wahlen 1993 breiten Protest auf sich zog, rüstet sich für den Wahlkampf 2007. Das passt zu einem politischen System, in dem das Rennen um ein Amt meist eine reine Geldfrage zu sein scheint.