Boliviens Erdgasdebatte geht in neue Runde

Präsident Carlos Mesa und Evo Morales, aber auch die oppositionellen Gewerkschaften können sich vom Referendum bestätigt fühlen. Mesa profitiert von der Spaltung der sozialen Bewegungen und möchte die Gasexporte vorantreiben

PORTO ALEGRE taz ■ Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Nach der Volksabstimmung über die bolivianische Erdgaspolitik am letzten Sonntag formieren sich die politischen und sozialen Kräfte für die Beratungen im Kongress über ein neues Erdgasgesetz, für die Kommunalwahlen im Dezember und für die Bildung einer verfassunggebenden Versammlung 2005 oder 2006.

Bis gestern früh hatte die Nationale Wahlbehörde in La Paz 92,4 Prozent der Stimmbezirke ausgezählt. Danach befürworteten 71,7 Prozent der BolivianerInnen, die sich am Referendum beteiligten, eine stärkere Kontrolle des Staates über die fossilen Brennstoffe. Doch nur 44,4 Prozent stimmten für einen Gasexport unter den von Carlos Mesa formulierten Voraussetzungen. Dennoch münzt der Präsident die relative Mehrheit der Jastimmen bei allen gestellten fünf Fragen in eine Bestätigung seines Kurses um. Dabei unterschlägt er Enthaltungen und ungültige Stimmen, die je nach Frage 22 bis 28 Prozent ausmachen – und dass 40 Prozent der registrierten Wähler trotz Wahlpflicht und drohender Geldstrafen nicht abstimmten.

Nun versucht Mesa, seinen Gesetzentwurf zu fossilen Brennstoffen durch den Kongress zu bekommen. Vor allem aber hofft er auf Verständnis bei Erdgas- und Erdölmultis: „Auch sie müssen das Ergebnis zur Kenntnis nehmen“, sagte er der spanischen Zeitung El País. Er habe „Seriosität, Rechtssicherheit und eine Garantie für die Investionen“ anzubieten. Im Gegenzug müssten die Firmen jedoch neue Steuern und eine größere staatliche Präsenz akzeptieren. Eine 10-prozentige Zusatzsteuer soll im September eingeführt werden. Zugleich wollen Experten der Weltbank und Consultants dafür sorgen, dass das neue Erdgasgesetz den Interessen der Multis nicht zu sehr entgegenläuft – ihre Mitarbeit bei der Ausarbeitung des Gesetzes ist einem Abkommen mit dem IWF ausdrücklich vorgesehen.

Mesa profitiert von der tiefen Spaltung der sozialen Bewegungen, die den erfolgreichen Aufstand im vergangenen Oktober durchführten. Die militanteren Gruppen aus El Alto, der Gewerkschaftsdachverband COB und Felipe Quispe von der Bauerngewerkschaft der Aymaras aus dem Hochland hatten zum Boykott des Referendums aufgerufen, weil eine Verstaatlichung der Ressourcen nicht zur Abstimmung stand. Nun verweisen sie darauf, dass sich nur gut ein Fünftel aller volljährigen BolivianerInnen für den Gasexport ausgesprochen habe.

„Die Aymaras werden weiterhin eine Verstaatlichung aller natürlicher Reichtümer fordern“, sagte Quispe, der vor einigen Wochen sein Abgeordnetenmandat aufgab. Mesa sei der „Präsident der Multis“, Evo Morales von der „Bewegung zum Sozialismus“ (MAS) regiere bereits mit, „er hat sich rechtzeitig entlarvt“. In der Tat hielt der Sprecher der Kokabauern, der für 2007 seine erneute Präsidentschaftskandidatur vorbereitet, Mesa zuletzt Monaten den Rücken frei und war sogar an der Ausarbeitung der Referendumsfragen beteiligt. Im Rahmen einer „rechtmäßigen Nationalisierung“ müssten die langfristigen Verträge mit den Multis „angepasst“ werden, sagt Morales heute. Eine Konfiszierung oder Enteignung komme allerdings nicht in Frage.

Seine Ex-Bündnispartner zur Linken forderte er ganz staatsmännisch zum „konstruktiven Dialog“ auf: „Das Volk will eine friedliche, zivilisierte Entwicklung, keine destruktiven Handlungen.“ Sein Triumph: Eine absolute Mehrheit gab es nur bei den Punkten, die als Ausgangsbasis für eine weitergehende Nationalisierung interpretiert werden könnten und die auch die MAS befürwortet hatte.

Mit Peru will sich Mesa im August über den Bau einer Pipeline zum Pazifik verständigen, über die bolivianisches Gas nach Mexiko ausgeführt werden kann. Die Exporte nach Argentinien sollen bis 2006 versechsfacht werden, verkündeten Mesa und sein argentinischer Kollege Néstor Kirchner am Donnerstag in der Erdgasprovinz Tarija. Voraussetzung dafür ist jedoch die Verabschiedung des neuen Gesetzes – und dabei spielt die MAS eine Schlüsselrolle. GERHARD DILGER