SCHLINGENSIEFS ERFOLG UND CASTORFS NIEDERLAGE BELEGEN:
: Kunst braucht Skandale

Am Vorabend von Christoph Schlingensiefs Bayreuther „Parzifal“-Inszenierung tut Aufklärung Not: über die Funktion des Skandals im Kulturbetrieb. Wie auch immer der künstlerische Ertrag der morgigen Premiere ausfallen wird, eines lässt sich nämlich vorab sagen: Als PR-Maßnahme war es ein gelungener Coup, den gern als Theaterprovokateur bezeichneten Regisseur in Wagners heilige Hallen einzulassen; es hagelte Vorberichte ohne Ende.

Klar, die Aufmerksamkeit ist vor allem der angenommenen Skandalträchtigkeit der Sache zu verdanken. Aber das sollte man nicht gegen Schlingensief wenden. Wissen kann man schließlich mittlerweile dies: Der Skandal ist zu einem Code, zu einem ganz normalen Medium geworden, über das wir schwierige Gegenwartskunst transportieren. Skandalisierungen eins zu eins zu nehmen, ist längst naiv. In Wirklichkeit drückt Skandalgeschrei in der Kunst nichts anderes aus als: Seht her! Höchstens, dass daneben noch der Subtext mitschwingt: Mag sein, lieber Zuschauer, dass du bei dieser Aufführung nicht alles verstehen wirst, aber die Sache sollte dich dennoch interessieren. So haben Skandalisierungen etwas Beschwichtigendes, auch wenn das zunächst seltsam klingt. Sie geben dem Publikum ein Mittel an die Hand, sich zu sperriger Kunst ins Verhältnis zu setzen.

Freilich sind Skandalisierungen dazu ein grobes Mittel. Was allerdings geschieht, wenn Skandale ausbleiben, hat kürzlich Frank Castorf erfahren müssen. Mangels Zuschauerresonanz wurde er als Chef der Ruhrfestspiele geschasst. Das wäre sicher nicht passiert, hätte er ein, zwei hübsche Skandale produziert. Zugleich zeigt dieser Fall die einzige Alternative zum Skandalwesen auf: Das ist die geduldige Arbeit am Zuschauer mit Begleitprogrammen und Erläuterungen. Dass sich die Aufmerksamkeit des Publikums schon von selbst einstellen wird, das zu erwarten, ist jedenfalls immer ein Fehler. Dass Castorf keine Skandale generierte, mag ihn ehren. Dass er keine Alternativen anbot, brach ihm das Genick. Schlingensief mag in Bayreuth viele Probleme gehabt haben. PR-Probleme wie Castorf im Ruhrgebiet hatte er keine. DIRK KNIPPHALS