„Kim Jong Il ist kein Dummkopf“, sagt Professor Song Du Yul

Nord- und Südkorea müssen das Versöhnungstempo jetzt forcieren – sonst werden beide Verlierer der Globalisierung

taz: Herr Professor Song, am Mittwoch hat ein Berufungsgericht in Seoul die Freiheitsstrafe gegen Sie in Bewährung umgewandelt. Seitdem sind Sie wieder ein freier Mann. Ist damit auch das berüchtigte Nationale Sicherheitsgesetz Südkoreas entschärft, wegen dem Sie für verbotene Kontakte zu Nordkorea verurteilt wurden?

Song: Das mutige Urteil ist ein Anzeichen für das Aufweichen dieses anachronistischen Gesetzes, das alle nicht genehmigten Kontakte zu Nordkorea unter hohe Strafen stellt. Zwar gibt es immer noch einflussreiche Kräfte, die das Gesetz stützen. Aber in der südkoreanischen Gesellschaft wächst der Konsens für bessere Beziehungen zum Norden und damit auch für eine Revision des Sicherheitsgesetzes. Gerade mein Fall hat gezeigt, dass eine Annäherung mit diesem Gesetz unmöglich ist.

Ist die Zeit, in der sich jeder Kontakt von Südkoreanern zu Nordkorea kriminalisieren ließ, vorbei?

Mit endgültigen Schlüssen muss man vorsichtig sein. Die anfangs von Staatsanwaltschaft und Medien gegen mich inszenierte Massenkampagne war ja sehr gelungen. Erst nach dem letzten Urteil ist die Hetze gegen mich einer objektiven Berichterstattung gewichen.

Was bedeutet Ihr Fall für die südkoreanische Entspannungspolitik gegenüber dem Norden?

Aufgrund seines Charismas konnte der ehemalige Präsident Kim Dae Jung die so genannte Sonnenscheinpolitik einige Jahre lang erfolgreich durchsetzen. In diese Zeit fiel auch das erste Gipfeltreffen zwischen Nord- und Südkorea. Sein Nachfolger Roh Moo Hyun ist weniger glücklich: Ihn beschäftigt außenpolitisch der Irak, wo südkoreanische Soldaten stationiert sind. Innenpolitisch hat er es zudem mit Streiks zu tun. Das lässt nicht viel Raum für Nordkoreapolitik. Auch wenn Roh hinter den Kulissen den Durchbruch zu einem zweiten Gipfeltreffen sucht.

Ist Nordkoreas vermutete Atomaufrüstung heute das größte Hindernis für eine Annäherung beider Teilstaaten?

So wie das Sicherheitsgesetz ein Anstoß für den Norden ist, ist die Atomrüstung ein Anstoß für den Süden. In der Soziologie spricht man hier von doppelter Kontingenz. Jeder verlangt vom anderen, dass er zuerst seine Bedingungen erfüllt. Der eine soll zuerst die Atombomben, der andere zuerst seine feindliche Gesinnung aufgeben. So kommt man nicht weiter.

Sie sind dafür bekannt, auf Kritik an Nordkorea zu verzichten. Warum tun Sie das?

Ich habe immer auf die Probleme der nordkoreanischen Gesellschaft hingewiesen, etwa auf die Bürokratisierung des Staatsapparates als Hindernis für Öffnung und Reform. Doch gilt es immer zu bedenken: Seit dem Fall der Mauer hat Nordkorea jeden Rückhalt in der Welt verloren. Das Land hat große Schwierigkeiten, ein neues Bezugssystem aufzubauen.

Macht der Patient irgendwelche Fortschritte?

Seit zwei Jahren gibt es Ansätze einer Reformpolitik. Marktwirtschaft ist heute kein Fremdwort mehr. Viele neue Marktplätze sind eröffnet worden. Das alles erinnert an die erste Phase der Reformpolitik in China Anfang der 80er-Jahre. Offen bleibt, wie ernsthaft die Reformen gemeint sind und wie gründlich sie durchgesetzt werden.

Menschenrechtsgruppen haben in der Vergangenheit von Millionen Hungertoten in Nordkorea gesprochen. Zehntausende seien in politischen Lagern umgekommen. Warum sprechen Sie davon nicht?

In Südkorea gibt es hier zwei Linien. Die einen sagen, dass man Kritik offen vortragen muss. Die anderen befürchten, dass das lediglich negative Reaktionen im Norden auslöst. Ich denke: Kritik muss natürlich sein. Aber sie entbindet nicht von der Verantwortung zur Zusammenarbeit. Einseitiges Vorgehen ist unverantwortlich.

Sie haben in Deutschland die Wiedervereinigung miterlebt. Wann wird Korea folgen?

Klar ist nur, dass die Koreaner im Süden und Norden auf sehr tiefe Art und Weise dem Wunsch nach Wiedervereinigung anhängen. Was ihnen fehlt, ist ein Weg dorthin. Auch wirtschaftlich stehen wir erst ganz am Anfang einer Zusammenarbeit. Geplant ist jetzt ein gemeinsamer Industriekomplex im Norden, der ab nächstem Jahr exportfähige Güter liefern soll.

Behindern die Großmächte USA, China und Japan immer noch die Annäherung?

Es gibt derzeit zwei günstige Faktoren: China will seinen Nordosten entwickeln und Japan ist weiter mit Vergangenheitsbewältigung beschäftigt. Schon in zehn, zwanzig Jahren kann China Großmacht sein und Japan alles Interesse an seiner Vergangenheit verloren haben. Deshalb muss Korea das Versöhnungstempo jetzt forcieren. Sonst wird es auch langfristig ein Verlierer der Globalisierung bleiben.

Sie sprechen von Versöhnung und Reformen in Nordkorea. Aber was denken Sie von Kim Jong Il? Ist der nicht zuallererst ein Verbecher?

Ich selbst habe Kim nur kurz getroffen. Aber der japanische Premierminister war jetzt schon zum zweiten Mal bei ihm und hat positiv über Kim geurteilt. Das ist ein gutes Zeichen. Er ist sicher nicht der Dummkopf, als den ihn die Boulevardzeitungen in Südkorea oft darstellen.

INTERVIEW: GEORG BLUME