Die Sonnenbrillen von Ketama

Öffentlich-rechtliche Bewusstseinserweiterung: Der Dokumentarfilm „Haschisch“ von Daniel Gräbner porträtiert den Alltag der Hanfbauern im marokkanischen Rif-Gebirge, die zwei Drittel des europäischen Marktes versorgen

Für seinen Film „Haschisch“ ist der Filmemacher Daniel Gräbner mit seinem Team ins marokkanischen Rif-Gebirge gefahren; zwei Drittel des Haschischs auf dem europäischen Markt kommen von dort. Doch die Regierung scheut ein härteres Durchgreifen aus Angst vor einer Rebellion im Rif, das früher „Land der Gesetzlosigkeit“ genannt wurde, denn der Stoff bildet dort die einzige Lebensgrundlage.

Es gibt zwar immer wieder Reportagen über Haschischbauern im Rif, Filme sind jedoch rar. Der marokkanische Staat hat natürlich kein Interesse daran, dass im Ausland über den Anbau im Rif berichtet wird. Doch über einen Kontaktmann landeten Daniel Gräbner und sein Filmteam in einem kleinen Dorf in den Bergen von Ketama, in dem das Leben seit Jahrhunderten vom Haschisch geprägt ist.

Kommentarlos entwirft der Film ein Porträt dieser Gegend und seiner Menschen. Riesige Hanffelder, surrende Insekten, Männer in Strohhüten bringen die Ernte ein. Der Hanf muss erstmal trocknen. Dann werden die Stauden auf gespannten Stoff ausgelegt, mit einer Plane bedeckt, zwei Männer schlagen mit Stöcken darauf ein, und durch den Stoff rieselt der Blütenstaub in einen Behälter. Dazu gibt’s passend monotones Getrommel, tagaus, tagein.

Ein Haschischbauer spricht über die unterschiedlichen Qualitäten seines Hanf wie ein französischer Weinbauer. So gibt es auch „gefährliches Haschisch, das dir den Kopf wegknallt“, erfährt man. Aus hundert Kilo Pflanzen gewinnt man ein Kilo Haschisch. Das beste Hasch kommt natürlich nicht in den Export, sondern dient dem Eigenbedarf. Es gibt das „große“ Export-Business nach Europa und den „kleinen“ Handel im Inland.

Einer der Haschbauern redet ein bisschen hippiephilosophisch und guckt verschmitzt dabei. „Bevor du etwas beginnst, rauch ein paar Joints und überlege, wer du bist und was du tust.“ Das Haschkraut diene nicht zur Flucht, sondern dazu, mit sich selbst ins Gericht zu gehen. Auch als Medizin sei es gut: Unter dem Einfluss von Hasch würden Verrückte zum Beispiel wieder normal reden, sodass sie jeder versteht.

Ein junger Mann sagt: „Ich mag weder Haschisch noch Wein. Das ist der Unterschied zwischen mir und den anderen hier.“ Er träumt davon, irgendwann nach Europa zu kommen, und erzählt von einem gescheiterten Fluchtversuch, denn die Fluchtwege sind kompliziert und gefahrvoll. Ein anderer hat nach dreißig Jahren das Rauchen aufgegeben.

Die Bilder sind schön und atmosphärisch. Oft tragen die Haschbauern Sonnenbrillen in der flirrenden Hitze, und die blauen Berge schimmern rosa in der Abenddämmerung. Kinder spielen Fußball auf sandigen Plätzen. Die Frauen arbeiten im Hintergrund, im braunen Halbdunkel sieht man die Männer.

In der letzten Szene des Films sitzen die Haschbauern mit den Filmemachern am Feuer und philosophieren. Einer der Haschbauern sagt etwas bedeutungsvoll Poetisches, lässt eine Pause und sagt dann zum Filmemacher, der nicht im Bild ist: „Rauch eine Pfeife. Du wirst dann verstehen.“ Es bleibt in der Schwebe, ob der Regisseur Daniel Gräbner die Pfeife annimmt.

Das wirkt etwas aufgesetzt oder wie ein blödes dramaturgisches Zugeständnis ans öffentlich-rechtliche Bewusstsein. Und es wirkt mystifizierend. Denn es ist ja davon auszugehen, dass jemandem, der 1975 geboren und in Köln aufgewachsen ist und der später dann einen Film über Haschisch macht, das Haschrauchen wohl nicht allzu exotisch und fremd sein dürfte.

Der Film ist also einerseits verdienstvoll, andererseits hat es etwas Unwahrhaftiges, wenn man so tut, als hätte man selbst nichts damit zu tun, und nur die anderen reden lässt. Schließlich befriedigt die Haschproduktion in den so genannten Entwicklungsländern ja die Rauschbedürfnisse in der Ersten Welt. Und während die Kiffer hierzulande relativ ungestört ihr Zeug rauchen können, drohen den Haschbauern und -schmugglern aus den Erzeugerländern drakonische Strafen.

DETLEF KUHLBRODT

„Haschisch“. Regie: Daniel Gräbner. D 2002, 80 Min. (OmU). Ab Donnerstag, 21. 8., im Eiszeit-Kino, Kreuzberg