berliner szenen Einziger Film

Einziges Leben

Im Babylon lief „Bockshorn“, ein Defa-Film aus dem Jahr 1983. Das Plakat hing damals hier und da in Provinzkinos. Deshalb wusste ich, dass ein Junge aus meinem Ferienlager mitspielte: Jeff Dominiak, so ein toller Name.

Der Film spielt am Anfang in New York, aber New York heißt „Ban“ und ist als Fantasiewelt gemeint. Sicher nur ein Trick, um für die Dreharbeiten mal nach Amerika reisen zu können. Dem Jungen wird sein Schutzengel weggenommen, er macht sich mit einem Freund auf die Suche nach dem Dieb: Vielleicht waren sie zu dieser Zeit mit Realismus schon zu oft an der Zensur gescheitert. Diese typische Defa-Musik. Die pseudokernige Sprache des Fernfahrers, der sie mitnimmt: „Kein Geld, was? Wie viele? Zwei? Seh nur einen.“ Seltsam, wie die beiden Jungen in New York mit ein paar Vorstadtkids tanzen. Dann in der Disko, Großaufnahme von Poppergesichtern. Dieser gelangweilte Gesichtsausdruck, die 80er. Warum wurde das 83 in der DDR gedreht? Als surreale Parabel auf das Land? Wenn man denkt, was sie sicher für Ärger hatten, das durchzuboxen, versteht man es nicht mehr.

Für die beiden Hauptdarsteller war es der einzige Film: den einen findet man überhaupt nicht im Internet, und bei Jeff Dominiak der Schock: 30-mal derselbe Eintrag in Listen von Naziopfern aus den 90ern. Er war deutsch-ägyptischer Abstammung. Offenbar ist er 1993 von einem Skin überfahren worden. Er ist gerade 25 geworden. Im Film findet er am Ende den Mann wieder, der seinen Schutzengel hat. Er stürzt sich auf ihn, fällt und stirbt an einem Schädelbruch. Ein Berliner Straßenjunge, mit dem man im Ferienlager war, der in seinem einzigen Film stirbt, und in seinem einzigen Leben.

JOCHEN SCHMIDT