Mit dem Nachtbussi das Rathaus wachküssen

In Tübingen machte er Nachtbusse sexy, in Stuttgart will er OB werden. Der Junggrüne Boris Palmer wittert die Macht

Man könnte einen falschen Eindruck von ihm bekommen. Er war noch keine 29 Jahre alt, als er im März 2001 in den baden-württembergischen Landtag gewählt wurde. Er will nun – gerade 32 geworden – auch noch Oberbürgermeister von Stuttgart werden. Und er hat bei alledem das Selbstbewusstsein, daran zu glauben, dass er dem Job tatsächlich gewachsen ist. Klingt nach einem Karrieristen Marke angepasst und eingebildet.

Der Eindruck täuscht. Klar kann Boris Palmer seine Ziele eloquent präsentieren – das hat der Sohn eines Obstbauern einst als Verkäufer auf dem Tübinger Wochenmarkt gelernt. Aber er ist dabei kein Schwätzer, kein eitler Selbstdarsteller geworden. Sondern einer, den seine politischen Ziele treiben. Dass er dabei gelegentlich aneckt, gehört einfach dazu. Wenn es unter den Grünen so etwas wie „Junge Wilde“ gibt, dann ist er ihr Aushängeschild.

Symptomatisch war vor geraumer Zeit sein Auftritt im Stuttgarter Landtag im Radler-Outfit. Aus seinem Wohnort Tübingen war er gerade mit dem Fahrrad angekommen, als die Debatte im Plenum begann. Zum Umziehen reichte die Zeit nicht mehr, und weil es um Klimaschutz ging, wollte er sie keinesfalls verpassen. Also saß Palmer dann notgedrungen im Radler-Dress, den Fahrradhelm neben sich liegend, im hohen Hause – bis der Saaldiener ihn höflichst in die Umkleide bat.

Da liegt es auf der Hand, dass Palmers Art ihm Kritik einbringt. Doch auch das hat Historie in der schwäbischen Familie. Vater Helmut machte sich als „Remstalrebell“ in ganz Baden-Württemberg einen Namen, indem er immer wieder gegen Polizei und Justiz protestierte, und dafür sogar zahlreiche Verfahren angehängt bekam.

Dass nun Sohn Boris schon in jungen Jahren politisch so weit gekommen ist, liegt auch daran, dass seine politischen Themen immer so handfest sind. Denn er ist Pragmatiker, keiner jener Ideologen, die – zwischen Marx und Hegel lavierend – über eine bessere Welt philosophieren. Sondern es sind die Probleme vor Ort, die ihn umtreiben, was ihn für die kommunale Realpolitik empfiehlt.

Da gibt es zum Beispiel jenes Projekt, dass er während seines Studiums in Tübingen durchbrachte: Die Stadt führte auf seine Initiative – er war Referent der Studentenvertretung für Umwelt und Verkehr – Nachtbusse ein. Anschließend stellte Palmer das Projekt ins Netz – unter der Adresse www.nachtbussi.de.

Immer noch sind es die Verkehrsthemen, die dem studierten Mathematiker am nächsten liegen – und da der überbordende Autoverkehr in Stuttgart laut Umfragen für 70 Prozent der Bürger das drängendste Problem darstellt, rechnet der Grüne Boris Palmer sich bei der OB-Wahl gute Chancen aus. Und wenn es am Ende doch nicht reichen sollte, dürfte zumindest eine Botschaft auch im fernen Berlin angekommen sein: Im Südwesten gibt es einen jungen Bündnisgrünen, der seine Partei nochmal gehörig in Schwung bringen dürfte. BERNWARD JANZING