Museumsleiterin triumphiert über Minister

„Ich bin berühmt“: Niedersachsens Kulturminister Lutz Stratmann wurde beim Oldenburger Vorlesewettbewerb um die „Oldenburger Lesebrille“nur zweiter Sieger – und das, obwohl er die Jury aus fachkundigen Kindern mit den klassischen Tugenden der Rhetorik überzeugen wollte

Alle sind hibbelig an diesem Nachmittag vor der Bühne im Oldenburger Schlossgarten: die Kinder, die hier, beim 1. Oldenburger Vorlese-Wettbewerb, als Jury über die Leistungen der Erwachsenen richten sollen; die Teilnehmer am Wettbewerb um die „Oldenburger Lesebrille“, weil sie nicht heimelig mit dem Buch am Kinderbett sitzen dürfen, sondern vor etwa 40 Zuschauern ihre Vorlese-Fähigkeiten unter Beweis stellen müssen; der Veranstalter, weil der niedersächsische Wissenschafts- und Kulturminister Lutz Stratmann noch immer nicht da ist. Der Weg aus Berlin ist weit.

Pünktlich mit dem Verstreichen des akademischen Viertels erscheint er dann schließlich, leger gekleidet, selbstsicher und in Begleitung von Frau und Kind.

Während Karin Emmelmann, die Leiterin des städtischen Jugendamts, die Kinder mit einer blauen Kunststoffnase vom letzten Kirchentag auf die Lesung aus Björn Ingvaldsens „Ich bin berühmt“ einstimmen will, und Heiner Bögemann vom Gesundheitszentrum für den niedersächsischen Strafvollzug mit Strohhut eine Art Peter Lustig der Kinderliteratur gibt, setzt der Minister auf klassische rhetorische Tugenden. Er liest flüssig, schlüpft in die Rollen, gewinnt dem Text, der um einen hypochondrischen Jungen kreist, alle wichtigen Pointen ab. Die Wertung der durchaus kritischen Jury, die jeden Verhaspler mit freudiger Gnadenlosigkeit notiert, fällt vielversprechend aus. Da kann es sich Stratmann durchaus erlauben, einzugestehen, er habe an einigen Stellen improvisiert. In der Politik hilft das schließlich auch immer wieder.

Doch die Routine wird zum Stolperstein. Jutta Moster-Hoos, Leiterin des Oldenburger Horst-Janssen-Museums geht die Sache zwar etwas weniger improvisationsfreudig an, erwärmt aber die Herzen der jungen Juroren und Jurorinnen um einige Grad mehr. Daran kann auch Stratmanns geschickt platzierte Show-Einlage nichts mehr ändern, so nett es auch anzusehen ist, wie er geschmeidig vom Podest gleitet, um seine Tochter wieder einzufangen, die spontan Reißaus nimmt. Auch der Versuch seiner Gattin, durch einen Slapstick-Klassiker – den im feuchten Erdreich stecken bleibenden Absatz – zu punkten, fruchtet nichts. Ob es am Thema des von Moster-Hoos gelesenen Abschnitts liegt, der von der ersten großen Liebe handelt? Die Augen der Jury leuchten jedenfalls, als sie liest. Da geht CDU-Ratsherrin Andrea Ahrens bereits mit der Gewissheit ans Pult, nichts mehr reißen zu können.

Die Trophäe, ein schwarzes Buch mit aufmontierter Lesehilfe, geht an die Museumsleiterin. Der Notar am Bühnenrand hat den Endstand eigenhändig errechnet und der geschlagene Minister kommt zu dem Ergebnis: „Ich musste schon mal 30 Minuten aus der Bibel vorlesen. Das war schlimmer.“

Christoph Kutzer