Schmollzeit vorbei

Nach ihrem Verzicht auf die Olympiaqualifikation im 200-m-Lauf absolviert Marion Jones eine routinierte PR-Show

SACRAMENTO taz ■ „Lange nicht gesprochen“, scherzte Marion Jones lächelnd, als sie sich am Samstag niederließ, um mal wieder mit den Journalisten zu plaudern. Eine Woche lang hatte die dreifache Olympiasiegerin von Sydney 2000 geschwiegen bei den Olympia-Ausscheidungen der USA in Sacramento, hatte nichts gesagt zur verpassten Qualifikation über 100 Meter und auch nichts zur geschafften im Weitsprung, nichts zum Dopingverdacht, der sie umnebelt, und nichts zur Anklage, die ihrem Lebensgefährten Tim Montgomery, dem 100-Meter-Weltrekordler, schon zugestellt worden ist. Eine Zeitung hatte sie bereits als „Prinzesschen Schmollmund“ betitelt, und um noch mehr Imageschaden abzuwenden, erschien es ihr wohl ratsam, aus der Schmollecke zu kommen und in die Charmeoffensive zu gehen.

Also lud Marion Jones zur Audienz in ein Pressezelt neben dem Stadion, in dem 200 Journalisten schon eine Viertelstunde vor ihrem angekündigten Erscheinen warteten. Dafür bekamen sie dann aber auch eine prima PR-Show geboten. Für 14 Uhr war die Ansprache anberaumt, da war klar, dass sie nicht zum gleichzeitig terminierten Halbfinale über 200 Meter antreten würde. „Der Grund dafür ist ganz einfach, dass ich müde bin“, sagte Marion Jones ganz munter. Sie wäre auch chancenlos gewesen, tags zuvor im Vorlauf und als Letzte ihres Rennens in 22,93 Sekunden gerade noch als eine der Zeitbesten weitergekommen, aber das sagte sie nicht.

Stattdessen erzählte die 28-Jährige vom Auf und Ab dieser Trials: Dass es natürlich enttäuschend sei, in Athen ihre Goldmedaillen nicht verteidigen zu können über 100 und 200 Meter; dass es andererseits schön sei, dennoch ihre zweiten Spiele zu erleben, nämlich im Weitsprung, wo sie sich nach ihren 7,11 Meter vom Donnerstag zu den Favoritinnen zählt. Das Comeback nach ihrer Babypause im vorigen Jahr war jedenfalls „schwieriger als ich gedacht habe“, sagte sie: „Ich habe unterschätzt, was es bedeutet, ein Kind zu gebären.“ Als sie dann noch erzählte, dass sie bei ihren Wettkampfreisen mehr unter der Trennung von ihrem Sohn Timmy leidet als unter schlechten Ergebnissen, schmolzen einige Journalistenherzen dahin.

Marion Jones hat ja Kommunikationswissenschaften studiert, und ihr Auftritt war eine Lektion in PR-Arbeit. Hauptgrund für ihr Schweigen in Sacramento sei gewesen, „dass ich mich ganz auf die Wettkämpfe konzentrieren wollte. Ihr wisst ja: Ich bin euch nie aus dem Weg gegangen, nie weggelaufen und habe immer alle Fragen beantwortet.“ Das sah eine Woche zuvor aber anders aus, nach dem für sie enttäuschenden 100-Meter-Finale mit Platz fünf. Da war sie mittels eines Golfwägelchens geflüchtet, wortlos bis auf das: „Wenn ich mit euch rede, schreibt ihr negative Sachen über mich. Wenn ich nicht mit euch rede, schreibt ihr auch negative Sachen. Da rede ich lieber nicht mit euch und verbringe die Zeit mit meinem Sohn.“

Am Samstag wollte sie nichts mehr davon wissen: „Ich bin nicht sauer auf die Medien“, versicherte sie: „Die meisten waren immer fair.“ Sie kritisierte stattdessen abermals die amerikanische Anti-Doping-Agentur Usada, die gegen sie ermittelt im Zusammenhang mit dem Balco-Skandal um das Designer-Steroid THG (Tetrahydrogestrinon). Unfair sei das, wo sie doch nie einen positiven Dopingtest abgeliefert habe, argumentierte Marion Jones. Dass es sich bei THG um eine Substanz handelt, die man bis zum vorigen Sommer gar nicht mittels der üblichen Tests nachweisen konnte, ignorierte sie erneut. „Athleten, die nicht positiv getestet sind, werden seit Monaten durch den Dreck gezogen“, schimpfte sie und empfahl, sich mit den positiv getesteten Fällen zu beschäftigen.

Von denen sind gleich drei binnen zweier Tage in Sacramento bekannt geworden: 100-Meter-Weltmeisterin Torri Edwards wird des unerlaubten Gebrauchs eines Stimulanzmittels beschuldigt, Hürdenläufer Larry Wade und Sprinter Mickey Grimes werden der Einnahme von Steroiden verdächtigt. Alle Fälle wurden von der Chicago Tribune publik gemacht, alle Athleten trainieren bei Sprint-Guru John Smith in Los Angeles – da liegt der Schluss nahe, dass es sich um gezielte Indiskretionen handelt, zumal bei Wade und Grimes noch nicht einmal die B-Proben geöffnet sind. Offenbar werden in der amerikanischen Leichtathletikszene ein paar Rechnungen beglichen.

Marion Jones nutzte die Gelegenheit, um von ihren Problemen abzulenken. Zumindest für einen Tag drehten sich die Medien wieder um sie, kaum noch jemand interessierte sich für die sportlichen Ereignisse.

JOACHIM MÖLTER