riesling in der blutbahn ist sexy wie ein truthahn von RALF SOTSCHECK
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Mein Freund Klaus Thomas Mann ist ein gewichtiger Mensch. In einem kleinen Ort an der irischen Westküste hat er ein kulinarisches Imperium aufgebaut. Bei ihm gibt es italienischen Wein und bayerische Brezeln, Wurst aus der Pfalz und Senf aus Düsseldorf. Da er irische Restaurants für entweder überteuert oder für unzumutbar hält, zumal in ihnen seit April nicht mehr geraucht werden darf, kocht er sich täglich mehrgängige Menüs. Manchmal lädt er dazu auch ein bis zwei Dutzend Freunde ein, die Gelage dauern stets bis zum Morgengrauen.

Um diese Zeit, nach vielen Flaschen Wein, fängt Klaus Thomas stets zu weinen an und schwärmt mit Wehmut in der Stimme von den Restaurants in seiner pfälzischen Heimat. Ich konnte das nicht mehr länger mit ansehen und buchte zwei Flüge nach Deutschland. Vorige Woche gingen wir auf Gourmet-Tour nach Speyer, eine Ortschaft mit genauso vielen Kirchen wie Einwohnern. Klaus Thomas’ Mutter hielt schon einen Traubenkuchen bereit, und wieder musste er weinen – diesmal vor Freude. Man unterhielt sich über Essen im Allgemeinen und die Restaurants in Speyer im Besonderen.

Am nächsten Abend stand das Cousinentreffen auf dem Programm. Die Verwandtschaft hatte dafür die Schwarzamsel ausgesucht, eine Weinstube, die mit einem Wildschweinkopf, mehreren Geweihen und einem ausgestopften Albino-Reh dekoriert ist. „In diesem Laden habe ich meine Jugend verbracht“, sagte Klaus Thomas, „sie ist wie im Rausch vergangen. Zwar hat inzwischen ein Grieche die Weinstube übernommen, aber die Dekoration hat sich seit 30 Jahren nicht verändert.“

Genauso lange hatte er seine Cousinen nicht gesehen. Sie redeten sofort über Essen, soweit ich das beurteilen kann, denn ich beherrsche die pfälzische Sprache nicht. „Ja, gibt es denn ein wichtigeres Thema“, kommentierte Klaus Thomas meine Verwunderung, „über das sich zu reden lohnt?“ Dann wurde serviert, und zwar „Dreierlei“: Bratwurst, Leberknödel und Saumagen, üppig angerichtet auf einem großen Teller. „Das ist auch Helmut Kohls Leibgericht“, meinte Klaus Thomas, der ebenfalls in Oggersheim nur einen Steinwurf vom Exkanzler entfernt geboren ist. Kulinarische Vorlieben werden einem offenbar gleich in die Wiege gelegt.

Es war für mich recht mühsam, den Cousinengesprächen zu folgen, erstaunlicherweise ist niemand in Klaus Thomas’ Verwandtschaft des Hochdeutschen mächtig. Worum es ging, war aber klar: Ich schnappte Wortfetzen wie „Blutwurst“, „Metzgerei“ und „Riesling“ auf.

Plötzlich packten acht Vorruheständler am Nachbartisch ihre Instrumente aus. Einer hatte einen Nachttopf mit Schellen an einen Ski montiert, mit dem er auf den Boden stampfte. Aha, die Rhythmusabteilung. Der griechische Wirt strahlte voller Vorfreude. Oder grinsen seit der Fußball-Europameisterschaft alle Griechen ständig? Die acht Herren stimmten Volkslieder an, in denen – wie konnte es anders sein – die Vorzüge der pfälzischen Küche und des Weines gepriesen wurden. Zum Schluss sangen sie ihren Hit: „Riesling in der Blutbahn ist sexy wie ein Truthahn.“ Diese Pfälzer! Selbst beim Sex denken sie an Geflügel.