Anlass verzweifelt gesucht

Die selbst ernannte Event-Metropole im kurzzeitigen Ausnahmezustand: Beim Besuch des weltgrößten Passagierschiffes „Queen Mary 2“ findet Hamburg heute endlich zu sich selbst, morgen früh ist aber vorerst alles wieder vorbei

von Alexander Diehl

Heute ist es so weit. Die Königin kommt, ach was, sie sollte längst da sein. Seit heute Morgen, etwa 6 Uhr, liegt die „Queen Mary 2“, der Welt größter wie teuerster Passagierdampfer in Hamburg vor Anker. Und sollten sich Hamburgs Einwohner je etwas auf ihre Selbständigkeit eingebildet haben oder darauf, dass sie sich niemandem zu beugen gedenken, so sieht sich einmal mehr eines Besseren belehrt, wer die Hanseatenschaft in den vergangenen Tagen wahrnahm. Die Ankündigung des hohen Besuchs hat zu kollektiver Besoffenheit geführt zwischen Innenstadt und Vororten, an Alster, Bille und natürlich der Elbe Strom, weit hinaus über die – täglich nach oben korrigierten Schätzungen zufolge – Drittelmillion Menschen, die es tatsächlich vor Ort in den Grasbrookhafen schaffen wird.

Nein, auch die zu Hause Gebliebenen, die Kranken und Alten sowie all jene, die nicht von außertariflich gewährten Schiffsvorbeifahrt-Pausen profitieren können, wie sie das Abendblatt hier und da aufgespürt hat: Sie alle tragen dazu bei, dass Hamburg sich für gute 24 Stunden dort wähnen mag, wo es eher nicht mehr hingehört: unter jene Häfen der Welt, deren Bedeutung sich nicht allein an der Zahl umgeschlagener Container bemisst, an Bruttoregistertonnen, Fahrwassertiefen oder den klein-kleinlichen Auseinandersetzungen um Flora-Fauna-Habitat-Gebietsausweisungen und anderen Öko-Klimbim. Dort, wo es noch besser bestellt ist um Seefahrerromantik und Fernweh, wo noch täglich nennenswerte Passagierströme an Bord gehen, das Hab und Gut in den Händen, die Herzen voll Hoffnung, in den Augen Zuversicht.

Kurz: Für einen guten Tag, bis morgen früh gegen 7 Uhr, darf man sich in Hamburg wieder wie in einem richtigen Tor zur Welt fühlen, statt, wie den Rest des Jahres, einfach nur in einer Freien und Hansestadt.

Als einen von zwei europäischen Häfen besucht der derzeitige Stolz der Reederei (siehe Kasten) jenen Hamburgs, von der Schmach, dass es sich beim anderen Anlaufpunkt um Rotterdam handelt, den ewigen Rivalen in Sachen Weltgeltung, haben wir ja bereits berichtet. Die wenigsten der gut zweieinhalbtausend Passagiere an Bord der „QM 2“ indes dürften sich sonderlich für die Stadt interessieren. Als Reederei und HafenCity-Marketing in der vergangenen Woche noch mal vor der versammelten Presse die Werbetrommel zu rühren gedachten für das „maritime Event der Superklasse“ – wie der lokale TV-Sender Hamburg 1 es bereits zuvor bejubelt hatte –, da klang es, ein wenig kleinlaut, an: Ein nennenswerter Teil der Schiffsreisenden gedenke die Perle Norddeutschlands prompt wieder zu verlassen, um mittels bereitgestellter Busse ausgerechnet die Bundeshauptstadt zu bereisen – ausgerechnet Berlin, im Tagesausflugsformat aufbereitet, sollte also die Konkurrenz darstellen für den Besuch von Binnenalster, Mönckebergtsraße oder (späterem) Inge-Meysel-Park? Keine Sorge, suchte man im Kesselhaus Am Sandtorkai aufkeimende Standortkomplexe zu zerstreuen: Der größere Teil der Angereisten werde wohl vor Ort bleiben. „Und wenn der Kapitän später in seinem Bericht an die Reederei schreibt, er sei überall gut willkommen geheißen worden, in Hamburg aber ganz besonders gut, dann wäre das doch auch was.“

Auf jeden Fall etwas dürfte das Gastspiel der „QM 2“ für die erwähnten Menschenmassen darstellen, mit denen ab dem Morgengrauen gerechnet wird – in einem Hafen freilich, der seit 1. Juli die neuen internationalen Sicherheitsstandards zu erfüllen hat. Deshalb gilt ein Sicherheitsabstand um das Schiff nicht nur für andere Fahrzeuge, sondern auch für Fußgänger, und eine Besichtigung ist nun gar nicht drin: Aus der Nähe erschließe sich die Erhabenheit des königlichen Schiffsrumpfes indes ohnehin nicht, wird versichert, am besten halte man sich im gebotenen Abstand auf. Während das mäßig anheimelnde Areal des Cruise-Center selbst also verschlossen bleibt den Schaulustigen zum Beispiel der benachbarte Strandkai. Dort veranstaltet, gestählt vom unbeirrten Abspielen der eigenen „La Paloma“-Bestände, der NDR eine Rahmenprogramm zwar wenigstens ohne Shanty-Chor, dafür aber unter anderem mit Schlagern der 30er und 40er Jahre (alles Weitere unter www.ndr.de). Während die Öffentlich-Rechtlichen übrigens auch – „exklusiv“ – von Bord senden dürfen, muss sich die lokal-private Konkurrenz mit einem nahe gelegenen Dach als Sendeplattform bescheiden – dafür richtet Hamburg 1 seine Kameraus wenigstens den ganzen Tag auf den weit gereisten Kahn.

„Für alle, die morgen früh keine Chance haben, zusammen mit einer Viertelmillion anderer Schaulustiger den Einlauf der ‚Queen Mary 2‘ in den Hamburger Hafen zu erleben“, flatterte es dann gestern Mittag auf den Schreibtisch, berichtet ein gewisser „Weinreporter fortlaufend über das Ereignis“. Hatten wir bisher nicht gewusst, lehnen aber dankend ab.