cap anamur
: Rechtsstaat trotz Berlusconi

Tolleranza zero, null Toleranz – das war und ist der Schlachtruf der italienischen Regierung wenigstens auf einigen Feldern der Rechtspflege. Nein, natürlich nicht, wenn es um die Prozesse des Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi geht oder um die Möglichkeit, per europäischen Haftbefehl auch Geldwäsche oder Korruption zu verfolgen. In diesen Fällen wurden Staatsanwälte und Richter regelmäßig zu den Schreckgespenstern der italienischen Rechtskoalition, zu Folterknechten, denen gegenüber die rechtsstaatlichen Garantien der Angeklagten zu verteidigen waren.

KOMMENTARVON MICHAEL BRAUN

Auf anderen Feldern dagegen können es Berlusconi, Bossi und Fini gar nicht hart genug haben. An der „Cap Anamur“ wollten sie es jetzt wieder beweisen: Wer es sich nicht leisten kann, wegen Bagatelldelikten wie Richterbestechung, Verschiebung von Millionen Euro auf Schwarzkonten oder Bilanzfälschung verfolgt zu werden, sondern bloß wegen Überquerung des Mittelmeers auf einem lecken Kahn, der soll gefälligst die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen. Und wer diesen Elendsgestalten hilft, sie gar rettet, ist seinerseits ein Schwerkrimineller, für den Untersuchungshaft gerade gut genug ist – die gleiche Untersuchungshaft, die von der Rechten regelmäßig als „Tortur“ gegeißelt wird, wenn sie korrupte Politiker oder betrügerische Unternehmer trifft.

Eben diesen Geist atmete das Ausländergesetz von 2002. Es versagte als illegal eingestuften Immigranten die elementarsten Rechtsgarantien. Es ermöglichte Abschiebungen auf Polizeiorder ohne richterlichen Beschluss, es wollte der Justiz zwingend vorschreiben, jeden Ausländer wegzusperren, wenn er der Ausweisungsverfügung nicht Folge leistete. So degradierte es die Richter zu Erfüllungsgehilfen, ohne jeden Ermessensspielraum.

Ärgerlich für Berlusconi: Erneut spielen die Gerichte nicht mit bei dieser eigentümlichen Rechtsstaatsauffassung der italienischen Rechten, die sich alle Mühe gibt, vulgärmarxistische Vorurteile von der Klassen-, ja der Rassenjustiz zu bestätigen. Ganz grundsätzlich machte dies das Verfassungsgericht am von ihm in wichtigen Punkten verworfenen Ausländergesetz deutlich, just in den Tagen der „Cap Anamur“-Krise: Der Rechtsstaat gilt auch in Italien für alle, seine Garantien greifen nicht nur bei Silvio, sondern auch bei Ahmed. Daher durften auch Elias Bierdel und seine beiden Mitangeschuldigten auf ein faires Verfahren hoffen.