Billigpersonal aus dem Milieu

In deutschen Gefängnissen wird gespart. Die Folge: Zu wenig Wärter und Betreuer, mehr Selbstmorde, mehr Ausbrüche. Nun sollen in NRW private Dienste einspringen. Doch schlecht bezahlte Ex-Türsteher könnten die Knäste erst recht zur Hölle machen

von NINA MAGOLEY

Es wird heiß in den Gefängnissen. Und das nur bedingt wegen der Temperaturen der letzten Wochen. Zwar warnte der Bundesverband der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands (BSBD) davor, dass das „Aggressionspotenzial der Gefangenen“ durch die Hitze ansteige. Als „Pulverfass kurz vor der Explosion“ bezeichnet der BSBD die Situation allerdings schon seit Monaten.

Besonders dramatisch sei die Lage in Nordrhein-Westfalen. Dort fehlen nach Angaben des BSBD im Vollzug mehr als 1.700 Mitarbeiter. 300 gehen jährlich in Rente, deren Stellen nur zu 70 Prozent neu besetzt werden. Die Folgen seien unerträglich – für die Angestellten wie für die Inhaftierten. In den letzten 12 Monaten, so der BSBD, nahmen sich in NRW 40 Gefängnisinsassen das Leben – doppelt so viele wie in den Jahren zuvor. Elf Ausbrüche seit Anfang des Jahres stehen einem einzigen im vorigen Jahr gegenüber.

In der JVA Köln, der größten des Bundeslandes, sind für jeweils 80 Häftlinge gerade mal zwei Vollzugsbeamte zuständig. Sie teilen das Essen aus, schließen die Zellen auf und zu, begleiten die Häftlinge zum Transport oder zum täglichen Ausgang im Hof. „Ganz nebenbei sind wir noch Seelsorger“, klagt Wolfgang Klein, Vollzugsbeamter in Köln. Für die Gefangenen in ihren Einzelzellen wird der Gefängniswärter oft zur wichtigsten Bezugsperson. Die Beamten aber fühlen sich zunehmend überfordert: 12 Tage Schichtdienst sind die Regel, freie Wochenenden selten. Durchschnittlich, so der BSBD, verbuche jeder Vollzugsbeamte in NRW zurzeit 75 Überstunden, die weder bezahlt noch durch Freizeit abgegolten werden.

Für die Häftlinge bedeutet das Sparprogramm: täglich 1 Stunde Hofgang, Duschen höchstens zweimal pro Woche, Besuche einmal monatlich und nur noch montags bis donnerstags. „Viele der Kollegen sind mit ihrer Kraft am Ende“, sagt Klein. „Die Erlebnisse während der Arbeit lässt man nicht einfach an der Pforte zurück.“ Wer privat wenig Ausgleich habe, könne dem psychischen Druck auf Dauer kaum standhalten. Fehlzeiten seien die Folge, Streitereien mit den Gefangenen und „auch mal Handgreiflichkeiten“, räumt er ein.

Besonders labil ist die Lage bei den Untersuchungshäftlingen. Gefangenensprecher Sascha S., gerade 27, saß wegen Drogenverkaufs schon mehrfach in U-Haft. „Wenn man hier reinkommt, ist man erst mal total durcheinander“, erzählt er. „Man wurde womöglich vor der Familie festgenommen, fühlt sich zunächst unschuldig, hat Angst, Hoffnung, tausend Fragen.“

Auch Anstaltspsychologe Peter Jämmrich kann diese Fragen nicht beantworten. Zusammen mit vier weiteren Kollegen betreut er 1.200 Gefangene. Hauptsächlich bearbeitet er Anträge von Gefangenen auf gelockerte Haftbedingungen – Büroarbeit. „Für persönliche Betreuung bleibt kaum Zeit, regelmäßige Gespräche gibt es nicht.“ Jämmrich wirkt resigniert.

NRW-Justizminister Wolfgang Gerhards will nun private Sicherheitskräfte einstellen. Der BSBD ist entsetzt: „Diese Leute kommen aus völlig anderen Berufen, sind überhaupt nicht vorbereitet auf diese Aufgabe“, so der nordrhein-westfälische Vorsitzende Klaus Jäkel.

Auch unter den Gefangenen herrscht Skepsis. Die so genannte Subkultur hinter Gittern – Erpressung, Drogenhandel – empfinden ohnehin viele als Bedrohung. Sascha S. zweifelt an der Seriosität privater Sicherheitskräfte: „Die meisten kommen aus der Türsteherszene.“ Deutlich schlechter bezahlt als Beamte, seien sie zudem anfällig für Bestechung, fürchtet er: „Dann haben wir hier amerikanische Verhältnisse. Chaos pur.“