110 – gegen die Staatsgewalt

Eskalation am Bahnhof: Bei Festnahme eines Afrikaners sympathisierten empörte Zuschauer mit dem Schwarzen. Der Mann war per Haftbefehl gesucht

Haftbefehl und Platzverweis – hinterher sieht die Lage anders aus

Bremen taz ■ „Nazischweine!“ – „Immer auf die Schwarzen!“ Samstagabend vor dem Bremer Hauptbahnhof kochten die Gefühle gegen die Bremer Polizei hoch. Anlass war das Einschreiten mehrerer Beamter gegen einen jungen Afrikaner – „auf eine Art, die viele als rassistisch empfanden“. Das jedenfalls berichteten der taz mehrere Augenzeugen. Einer von ihnen gab an, per Handy sogar die Notrufnummer 110 gewählt zu haben – damit die Polizei gegen die eigenen Kollegen einschreite.

„Die haben den Afrikaner völlig fertig gemacht“, begründet Chedli Hassan, der vor Ort auf die Straßenbahn wartete, warum er zum Telefon gegriffen hatte. „Geschlagen und geschlagen haben sie ihn. Der Mann lag am Boden. Wir leben doch in einer Demokratie. Da darf das, was ich gesehen habe, nicht passieren.“ Noch heute ist der 52-Jährige außer sich.

Es war gegen 22 Uhr, als Hassan und rund 50 weitere BeobachterInnen unfreiwillig ZeugInnen eines Polizeieinsatzes gegen einen 18-Jährigen aus Sierra Leone wurden, der für beide Seiten blutig endete. Was Hassan besonders aufbrachte: „Ein Weißer fängt Krach an, aber die Polizei geht auf den Schwarzen los.“

Zuvor hatte Hassan beobachtet, wie der Afrikaner die Straßenbahnschienen überquerte und ihm ein weißer Mittvierziger hinterher rief: „He Nigger, komm her!“ Hassan erinnert sich, weil just jener Rufer ihm selbst unangenehm aufgefallen war. „Er war wohl betrunken.“ Doch erst auf das: „Was willst du Wixer?“, des jungen Afrikaners sei ein Polizeiwagen vorgefahren – und habe nur dessen Papiere kontrolliert. Dann, da sind Polizeiprotokoll und Zeugen einig, eskalierte die Lage.

„Der Tatverdächtige widersetzte sich“, so das Protokoll. Der Mann habe zur Überprüfung mit auf die Wache sollen. Was Umstehende nicht wussten: Eine Fußstreife hatte die Beamten auf den 18-Jährigen aufmerksam gemacht – er sei als aggressiv bekannt. Und so sympathisierten viele Beobachter mit dem aus ihrer Sicht unvermittelt Festgenommenen, als dieser sich wehrte.

Thomas Berger, Vater einer siebenjährigen Tochter, forderte bereits von offiziellen Stellen Aufklärung per Mail. Weil seine kleine Tochter Angst hatte, hielt er sich abseits des Geschehens. Dennoch hörte er die Hiebe – die Hassan beobachtete: „Mit den Fäusten auf Kopf und Oberkörper.“ Dass der am Boden Liegende einen Beamten ins Bein biss, wertet er so: „Der Mann hat sich gewehrt.“

Polizeisprecher Dirk Siemering sagt: „Der Gebissene schläft jetzt schlecht – wegen HIV-Sorgen.“ Denn der Festgenommene sei als Drogendealer und -händler bekannt.

Das allerdings erfuhr der Beamte erst auf der Wache, wo er später ins Protokoll schrieb, zwischen Autotür und Tatverdächtigem am Boden kaum Raum gehabt zu haben. Körperliche Gegenwehr sei nötig gewesen – auch um den Mann aus der Öffentlichkeit zu entfernen. Dafür kam eigens Verstärkung, so groß war der Pulk geworden.

Aus Polizeisicht war der Eingriff dennoch erfolgreich. Gegen den Festgenommenen lagen mehrere Haftbefehle vor. Zudem habe er Aufenthaltsverbot am Hauptbahnhof gehabt. „Aber wenn Bürger sich beschweren, wird die Innenrevision dem nachgehen“, sagt der Polizeisprecher. ede