Die „Sesamstraße“ ist ein Puma-Schuh

Politiker und andere Erwachsene laufen Sturm gegen die Umprogrammierung ihrer Kindheitserinnerungen

Seit dem 1. August 1972 wurde das Vorabendprogramm in den ARD-Landessendern von der „Sesamstraße“ eröffnet und hat so einen großen Teil der heute 20- bis 35-Jährigen in ihrer Entwicklung geprägt. Das gilt auch fürs „Sandmännchen“, das zwischen 18.35 und 18.50 Uhr im MDR und bei den beiden RBB-Sendern die Kinder ins Bettchen bringt.

Aber die Zeiten ändern sich, und auch die – im Vergleich zu den Privatsendern – etwas behäbiger wirkenden öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten reagieren auf den Wandel.

Seit dem 4. August ist die „Sesamstraßen“-Zeit mit 7.30 Uhr eine andere (die taz berichtete). Der RBB hat sogar angekündigt, das „Sandmännchen“ aus dem Programm nehmen zu wollen. Genau wie die „Sesamstraße“ soll es aber noch auf dem Kinderkanal (KiKa) von ARD und ZDF zu sehen sein.

Nun hätte sich der RBB wohl keine ungünstigere Zeit für diese Ansage aussuchen können. Kaum verkündet, trat die Politik auf den Plan. Der Vorsitzende der CSU-Medienkommission, Markus Söder, bot dem „Sandmännchen“ Asyl im BR-Programm an, der medienpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Günter Nooke, forderte RBB-Intendantin Dagmar Reim auf, sich einzuschalten, der Berliner Bildungssenator Klaus Böger (SPD) gab sich betroffen, ebenso Kultursenator Thomas Flierl. Da dürften neben einer Portion Populismus und Sommerloch-Langeweile wohl auch die eigenen Kindheitserinnerungen eine Rolle gespielt haben.

Ähnlich wie bei der „Initiative Jugendkommunikation“, die die Internetseite www.sesamstrasse-retten.de eingerichtet hat. Hier kann man eine Online-Petition unterschreiben, die der Forderung, „der ‚Sesamstraße‘ weiter einen festen Platz im Vorabendprogramm“ einzuräumen Nachdruck verleihen soll. Mehr als 10.000 Unterstützer haben sich dort bereits eingetragen.

Für den Sprecher der Initiative, Jason Krüger (25), war die „Sesamstraße“ immer „ein ganz wichtiges Ritual“. Er habe „die Sendung immer zusammen mit meiner Mama vor dem Abendbrot gesehen“. Dieses Gemeinschaftserlebnis solle auch kommenden Generationen ermöglicht werden.

Den Vorwurf des Ewiggestrigen weist Krüger von sich: „Die ‚Sesamstraße‘ heute ist eine andere als die in den Siebzigerjahren, und das Format hat durchaus seine Daseinsberechtigung.“ Daran zweifelt auch der NDR nicht, der die Aufregung kaum nachvollziehen kann. „Der neue Sendeplatz hat nichts mit einer Streichung der ‚Sesamstraße‘ zu tun“, sagt eine NDR-Sprecherin. „Es wird weiterhin neue Folgen geben.“ Und die Quoten scheinen dem Sender Recht zu geben. Im ersten Quartal 2003 haben von 420.000 Kindern zwischen drei und fünf Jahren lediglich 22.000 um 18.00 Uhr die „Sesamstraße“ eingeschaltet.

Vielleicht ist der Mythos „Sesamstraße“ ja doch nur ein Nostalgieproblem junger Erwachsener, wie der NDR sagt. Nicht umsonst haben Konzerne wie Puma und Adidas mit der Wiederauflage alter Turnschuhmodelle einen so großen Erfolg bei den 20- bis 35-Jährigen. Retro liegt eben im Trend.

Dass Zara Catharina Wolf (Geburtsjahr 2002) aus Bad Homburg v. d. Höhe sich selbst auf sesamstrasse-retten.de eingetragen hat, muss man wohl bezweifeln. LUKAS-CHRISTIAN FISCHER