Vom Namenlosen zum Bedrohten

Der Schwede Mehdi Ghezali, 904 Tage lang Häftling auf Guantánamo, kehrt nach Hause zurück. Dort wird er bedroht

Auf Guantánamo war er die Nummer US9SWE000166. „Nur die Nummer. Die ganze Zeit eine Nummer. Nie ein Name.“ Mehdi Ghezali wurde in der vergangenen Woche freigelassen und berichtete am gestrigen Mittwoch erstmals in zwei Interviews über die 904 Tage der Guantánamo-Haft. Über seine Zeit als Nummer, psychische und physische Folterungen. Und den plötzlichen Bescheid am 6. Juli: „Übermorgen wirst du freigelassen.“

Washington meint dem 25-jährigen Schweden weder für seine Festnahme noch für seine Freilassung nach 904 Tagen eine Erklärung schuldig zu sein. Denn glaubt man Ghezali, gab es nur einen Grund, warum er in Guantánamo landete: „Einige Dorfbewohner haben mich als Ausländer an die pakistanische Polizei verkauft, und die hat mich an die USA weitergereicht.“

Im August 2001 war er nach Pakistan gekommen. Von London aus, wo er Islamstudien betrieben hatte. „Ich lebte ein ganz normales Leben, reiste ein wenig herum.“ Mit Bekannten begibt er sich nach Jalalabad, im Nordosten Afghanistans. Die USA beginnen Afghanistan zu bombardieren. Er hört, dass Afghanen damit Geld verdienen könnten, Ausländer als „Terroristen“ an die USA zu verkaufen. Daher kehrt er nach Pakistan zurück.

Warum die USA glaubten, in ihm einen „illegalen Kombattanten“ zu sehen, weiß er nicht. Er habe keine Waffe angefasst, nicht einmal Wehrdienst geleistet. Terror lehne er ab, andere Menschen für politische Ziele zu töten widerspreche seinem Verständnis des Korans.

Als zweitältester von acht Geschwistern wuchs Mehdi in der mittelschwedischen Stadt Örebro auf. Lehrer, ehemalige Fußballtrainer und Schulfreunde berichten nur Positives über ihn. Ein guter Schüler, der den industriellen Zweig des Gymnasiums besuchte. Ein begabter Fußballspieler, der mit seinem Verein Örebro SK in der schwedischen Jugend-Bundesliga spielte.

Doch etwa zur gleichen Zeit, als er die Abiturklasse besuchte, erinnern sich Freunde, sei er irgendwie „anders“ geworden. Habe sich isoliert, anders gekleidet, einen Bart wachsen lassen. Die Polizei taucht zu Hause auf. Anschuldigungen wegen Diebstahl und Kreditkartenbetrug. Sein Vater, aus Algerien 1977 nach Schweden gekommen, beginnt sich Sorgen zu machen: „Wir redeten viel miteinander und studierten den Koran.“

Anfang 2000 beschließt Mehdi Ghezali, nach Saudi-Arabien zu reisen. Er will dort eine Islamschule besuchen, mit dem Ziel, eine Imam-Ausbildung zu machen. Die Ausbildung bricht er nach einem Jahr ab, will sie aber nach einem kurzen Schweden-Aufenthalt in London fortsetzen.

Jetzt, nach drei Jahren zurück in seiner Heimat, muss Ghezali sich verstecken. Das rät der Verfassungsschutz. Er hat offenbar Drohbriefe von Rassisten bekommen, die bedauern, dass er „nicht in Guantánamo verfault“ sei und ihm versprechen, das nachzuholen, was die USA „versäumt“ hätten: den „Scheiß-Taliban unschädlich“ zu machen.

REINHARD WOLFF