„cap anamur“
: Makabres Doppelspiel

Wenn ein Handelsschiff zukünftig im Mittelmeer einem lecken und überladenen Flüchtlingskahn begegnet, dann kann es nur noch eins geben: wegschauen und mit Volldampf weiterfahren. Das Risiko ist vernachlässigenswert. Die Flüchtlinge werden zwar jämmerlich ertrinken. Aber das merkt niemand. Vielleicht werden irgendwann ein paar aufgedunsene Wasserleichen an einen Strand gespült, um die Statistik ungeklärter Todesfälle auf See zu bereichern. Was soll’s.

KOMMENTARVON KLAUS HILLENBRAND

Nicht anders lässt sich die Entscheidung der italienischen Behörden verstehen, die Retter von der „Cap Anamur“ in Haft zu nehmen und das Schiff zu beschlagnahmen. Welcher Kapitän wird noch die Gefahr auf sich nehmen, das eigene Schiff zu verlieren wegen einiger jämmerlicher Gestalten, die anschließend nichts als Ärger mit sich bringen?

Der Skandal von Porto Empedocle ist aber nur der Gipfelpunkt einer verfehlten europäischen Flüchtlingspolitik. Denn es ist zwar richtig, aber auch wohlfeil, jetzt auf die Italiener einzuschlagen, wenn man sicher sein kann, dass die Boote mit Afrikanern niemals die Nordsee überqueren werden und an den eigenen Küsten anlanden. Die EU überlässt Flüchtlinge dem Land, das sie zuerst erreichen. Man muss Italien für sein Verhalten gegenüber der Besatzung der „Cap Anamur“ verurteilen. Deswegen gilt es aber dennoch daran zu erinnern, dass dieses Land in den letzten Jahren hunderttausende Bootsflüchtlinge aufgenommen hat. Über Asylsuchende vor der Steilküste Helgolands gibt es dagegen nichts zu berichten. Deshalb muss Europa einen Schlüssel zur Verteilung von Flüchtlingen finden, bei dem die südlichen Länder wie Italien, Spanien und Griechenland nicht länger als alleinige Auffangstationen fungieren.

Es ist jedoch nichts als ein makabres Doppelspiel, wenn deutsche Regierungspolitiker am ersten Tag ein Asyl für die „Cap Anamur“-Flüchtlinge ausschließen, um am folgenden Tag die Italiener für ihr vollkommen ungerechtfertigtes Verhalten zu schelten. Ob die „Cap Anamur“ ein deutsches Schiff ist, mag juristisch relevant sein oder nicht. Dass die Hilfsorganisation mit ihrer Rettungsaktion auch auf sich selbst aufmerksam gemacht hat, ist nur zu legitim. Die rot-grüne Arbeitsteilung aber, nach der die einen für die hehre Moral und die anderen für die Durchsetzung europäischer Rechtsnormen zuständig sind, ist unerträglich.