Ein Mensch hinter den Paragrafen

Sein Bruder ging in Sri Lanka zur Guerilla. Seine Mutter starb nach Misshandlungen. Er selbst trägt deutliche Folternarben am Arm. Die deutschen Behörden interessiert das alles nicht. Aus rein formalen Gründen bekommt der Tamile Siva kein Asyl

VON FLORIAN HÖHNE

Berlin. Helles Tageslicht scheint durch die unvergitterten Fenster in das kahle Krankenzimmer. Auf dem Bett sitzt ein junger Mann, abgemagert sieht er aus, aber er lächelt vorsichtig. Der junge Mann ist Tamile und kommt aus Sri Lanka. Sein Name: Paramesvaran Sivabalasundaram, oder – wie er sich selbst kürzer nennt: Siva.

Vor einigen Tagen wurde er nach sechs Wochen Hungerstreik aus der Abschiebehaft entlassen. Mehr als ein Jahr, so lang wie kein anderer, hatte er im „Abschiebegewahrsam Köpenick“ eingesessen. Kein einziges Mal ist er angehört worden, ständig droht die Abschiebung. Aus Protest dagegen verweigerte er seit dem 25. Mai 2004 die „amtlich angebotene Nahrung“, so der Amtsjargon. Mehr als einen Monat später ist sein Gesundheitszustand so schlecht, dass er – haftunfähig – in das Tempelhofer St. Josephs verlegt wird. An der rechtlichen Situation aber hat sich nichts geändert: Immer noch kann Siva jeden Moment wieder verhaftet und abgeschoben werden. Immer noch stellen sich die Behörden stur, immer noch hat ihn keiner angehört.

Siva zögert einen Moment, bevor er erzählt, wieso er nach Deutschland kam und wieso er um keinen Preis zurückwill nach Sri Lanka. „Ich war Schauspieler. Mit einem Stück sind wir auf Tournee gegangen durch Sri Lanka“, sagt er auf Englisch und fügt hinzu: „Das Stück war nicht politisch. Aber die Polizisten haben gesagt: Das ist politisch. Und haben uns festgenommen.“ Beim Wort „festgenommen“ lächelt er verschämt und kreuzt die Handgelenke. Die wurden damals gefesselt. Das sei am 13. Juni 2001 in Jaffna gewesen. Es war nicht seine erste Verhaftung. „Die dritte“, sagt Siva. Dann erzählt er kurzatmig und unruhig wippend weiter.

Als er noch ein Kind war, sei sein älteren Bruder zu den Tamil Tigers (LTTE), einer tamilischen Guerilla-Gruppe, gegangen. „Seitdem hatte ich keinen Kontakt mehr zu ihm.“ Seine Mutter, seine Schwester und er wurden 1999 zum ersten Mal verhaftet und über den Bruder verhört. Die Mutter starb an den Folgen der starken Misshandlungen des Verhörs. Siva und seine Schwester wurden nach drei Tagen entlassen. Zum zweiten Mal wurde er nach einer Schülerdemo verhaftet und nach zwei Tagen wieder entlassen.

Die dritte Gefangenschaft dauerte länger: „eight months“, sagt er, „kein Prozess, kein Richter, keiner sagte mir wie lange.“ Er schweigt einen Moment lang. „Sie haben gesagt, ich sei ein Terrorist – wie mein Bruder. Sie haben mich geschlagen.“ Siva deutet auf eine lange Narbe am linken Unterarm. Dass es sich bei den Narben wohl um Folterverletzungen handelt, hat jüngst auch der Chirurg Lother Grunau aus dem Vollzugsbeirat bestätigt: „Die Narben befinden sich an foltertypischen Stellen“, so der Mediziner, „Sivas Geschichte klingt deshalb glaubwürdig.“ Eine Bescheinigung darüber liegt den Behörden vor.

Die Folterverletzungen waren so schwer, dass er ins Krankenhaus gebracht werden sollte. „Auf dem Weg dorthin bin ich entkommen“, sagt er, „ich wollte nach England, weil ich da einen Freund habe. Außerdem heißt es, dass es für uns einfacher ist, in England Asyl zu kriegen, weil Sri Lanka mal englische Kolonie war.“ Die Reise endet vorerst in Deutschland, wo er in der Nähe von Cottbus ohne Papiere aufgegriffen wird. Um frei zu kommen beantragt er Asyl – und reist dann weiter nach England. Dort wird sein Asylantrag aber abgelehnt, weil er in Deutschland bereits einen Antrag gestellt hat. Als er im Mai 2003 aus England abgeschoben in Tegel landet, erwartet ihn die Polizei: Der deutsche Asylantrag wurde ebenfalls abgelehnt – wegen fehlender Mitwirkung des Antragstellers. Die Behörden hatten ihn zur Anhörung geladen. Aber da war Siva in England.

Inhaltlich geprüft wurde keiner der Anträge. Auch bei den zahlreichen Asylfolgeanträgen die er seitdem in Deutschland stellte, ging es nur um Formalia. Immer heißt es, er habe sich beim ersten Verfahren äußern und Beweise vorbringen können. Doch das wusste der damals 21-Jährige, der kein Deutsch spricht, nicht, als er im Sommer 2002 seine Reise zu seinem eigentlichen Ziel England fortsetzte.

Nach Sri Lanka zurück will er auf keinen Fall. Danach gefragt, wird er noch kurzatmiger. Das Lächeln – immer noch auf seinen Lippen – verrät Angst. „Sie werden mich am Flughafen festnehmen“, sagt er, „ich habe in Sri Lanka eine Akte. Die verrät den Polizisten, dass ich aus dem Gefängnis entkommen bin.“ Außerdem kenne er dort niemanden. „Meine Mutter ist tot“, sagt er. Stille. „Zu meinem älteren Bruder habe ich keinen Kontakt.“ Stille. „Mein Vater war auch verhaftet, wo er jetzt ist, weiß ich nicht.“

Ohne angehört zu werden, saß er insgesamt 13 Monate im Köpenicker Abschiebegewahrsam. Die Zeit dort sei sehr hart gewesen, sagt Siva. Er wippt immer noch unruhig auf dem Bett hin und her und lächelt: „Zu viel denken. Zu viel denken über morgen. Kein Ziel. Die Zeit verging langsam.“ Sechs Tamilen seien sie dort gewesen. Die anderen fünf seien alle vor ihm entlassen worden – entlassen, nicht abgeschoben.

Wie die Wachen ihn in Köpenick behandelt hätten? „Da waren ‚good masters‘ und ‚bad masters‘. Manche waren nett.“ Master? „Wir mussten die Polizisten ‚Master‘ nennen“, erklärt Siva, „Wir mussten nach allem fragen: Wasser für Tee, Fenster öffnen. Wenn du den Wachmann nicht ‚master‘ genannt hast, hat er nicht reagiert.“ Er macht eine lange Pause, lächelt dann etwas entspannter: „Verglichen mit meinem Heimatland, waren die Polizisten sehr nett.“