Die stickige Sommerfrische von Neuhardenberg

Die Einwohner protestieren, der Bürgermeister begehrt Einlass, der Ministerpräsident verdirbt die Laune – Die Wirklichkeit ist nicht so schön wie das restaurierte Schloss

NEUHARDENBERG taz ■ Alles ist, wie im vergangenen Jahr, bestens vorbereitet. Strahlend weiß steht Schloss Neuhardenberg bereit. Herausgeputzt und von der Brandenburger Polizei weiträumig abgeriegelt. Hier, in dieser ungestörten Atmosphäre auf dem Land, müsste die Regierung doch die Ruhe finden, nach der sie sich so sehnt. Neuhardenberg ist ja nicht nur Kulisse für aparte Bilder, Neuhardenberg ist auch ein Zufluchtsort. All die Reformkritiker von links und rechts sind ganz weit weg. Hier müsste es doch klappen: endlich ausschnaufen und zusammenraufen. Ein Traum von Harmonie und Eintracht, der, wie sich schnell zeigt, nicht in Erfüllung geht.

Kaum ist Gerhard Schröder an diesem Freitagnachmittag mit seinem Hubschrauber gelandet, trifft er auf Gestalten, die den schönen Schein gewaltig trüben. Da ist zum einen der Ministerpräsident von Brandenburg, Matthias Platzeck. Eigentlich ein SPD-Parteifreund. Eigentlich ein idealer Gastgeber. Doch am Freitagvormittag, kurz vor der Klausurtagung der Regierung, hatte er im Bundesrat – ebenso wie alle anderen Ost-Ministerpräsidenten – gegen das neueste Reformgesetz der Regierung votiert. Der Ärger des Kanzlers über den Widerstand des Genossen gegen die Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe lässt sich auch nicht durch ein paar nette Worte vor den Kameras übertünchen. Harmonie vor der Brandenburger Landtagswahl im September? Von wegen. Platzeck stört in der Ministerrunde, die über „Hartz IV“ berät, die sich einredet, dass schon alles gut gehen wird, wenn man sich nur anstrengt und alles gut erklärt. „Der Einzige, der anderer Meinung gewesen ist, war der Gastgeber“, wird später ein Teilnehmer berichten – und untertreiben. Andere erzählen, dass es zum Streit gekommen sei, dass sich Platzeck als „Drückeberger“ beschimpfen lassen musste, was die Regierungssprecher mühsam dementieren. Doch damit nicht genug.

Während die Regierenden bei ihrer Ankunft den „Geist von Neuhardenberg“ beschwören, der sie angeblich so beflügelt, versammeln sich vor den Schlosstoren Menschen, die hier leben – und die ganz anderes im Schilde führen. „28.7 % Arbeitslose in unserer Region“ steht auf einem Transparent und: „2000 Bürger haben Neuhardenberg verlassen!“. Ausgerechnet jener Ort, dessen Name der Regierung seit der Steuersenkung vor einem Jahr als Synonym für Aufbruchstimmung dient, ist in tiefe Depression verfallen. Vor kurzem hat auch noch einer der größten Arbeitgeber, eine Entenschlachterei, den Betrieb eingestellt. Von den Reformen, über deren Umsetzung und „Controlling“ die Regierung im Schloss redet, erwartet man hier wenig. Von „Hartz IV“ hat eine Cafébesitzerin nur mitbekommen, dass noch mehr Einwohner noch weniger Geld bekommen werden. „Dann können wir dichtmachen“, sagt sie. Die Stimmung im Ort beschreibt Bürgermeister Mario Eska so: „Wenn man Pessimismus zu Geld machen könnte, wären wir die reichste Gemeinde.“ Das klingt nicht gut. Gar nicht gut. Hoffentlich kriegt keiner die vielen Protestplakate mit, die überall im Dorf an den Bäumen hängen, mag sich die PR-Abteilung der Regierung denken. Hauptsache, der Kanzler sieht gut aus, wenn er bei der Abschlusspressekonferenz im Kräutergarten den „Teamgeist“ der Regierung feiert. Also: bloß schnell hinein ins Schloss.

Doch was fällt dem Bürgermeister ein? Eska, ein 40-jähriger PDSler mit langem Pferdeschwanz, will seine Sorgen dem Kanzler höchstpersönlich nahe bringen. Das hat den Mitarbeitern Schröders gerade noch gefehlt. Erst nach längerem Hin und Her und erst nachdem die Mikrofone abgeschaltet sind, bekommt Eska ein paar Minuten mit dem Kanzler. Schröder hört sich an, dass die Neuhardenberger gerne Unterstützung hätten – für den Ausbau ihres alten NVA-Flugplatzes zu einem Abflugort für Billiglinien. 500 Arbeitsplätze erhofft sich Eska davon. Eine Zusage des Kanzlers bekommt er nicht.

Ob es Eska interessiert, dass sich die Minister gut verstanden, dass sogar Otto Schily freundlich war und Gesundheitsreformerin Ulla Schmidt „Respekt“ bekundet hat? Als Schröder vor die Presse tritt, macht er klar, dass es erstens kein zusätzliches Geld für den Osten gibt. Zweitens verspricht er zwar Hilfe für einen Flugplatz – aber einen anderen. „Schönefeld muss kommen“, sagt Schröder und meint den Hauptstadtairport. In Neuhardenberg lässt er einen enttäuschten Bürgermeister zurück. „Meine Erwartungen an dieses Treffen waren nicht sehr hoch“, sagt Eska. „Sie haben sich leider erfüllt.“ Na denn, bis zum nächsten Jahr! LUKAS WALLRAFF