Die Natur als Lehrmeister

Im Pfalzmuseum Bad Dürkheim gastiert eine Ausstellung zum Thema „Bionik – Lernen von der Natur“. Museumspädagogen nehmen das wörtlich und versuchen in Workshops Lehrern und Kindern die Innovationskraft der Natur zu vermitteln

„Man muss es didaktisch reduzieren auf das, was in der Schule machbar ist“

VON GERNOT KNÖDLER

Bei den Lehrern geht es zu wie im Kindergarten. Zwei Dutzend von ihnen basteln mit Schere, Papier und Klebstoff Gleiter, Schrauber und Schirmflügler. Während einige Pädagogen testen, ob ihre Modelle der Performance natürlicher Vorbilder wie Ahornpropellern oder Löwenzahnschirmen nahe kommen, analysieren die übrigen Flugbahnen und diskutieren Bauvarianten. Was die Lehrer da treiben, nennt Professor Bernd Hill vom Institut für Technik und ihre Didaktik der Universität Münster „Bionik“: das Lösen technischer Probleme nach dem Vorbild der Natur.

Hill hat dieser Tage reichlich zu tun. „Bionik boomt“, sagt der Professor. Seine Hauptaufgabe an der Universität ist es zwar, Lehrer für den Technikunterricht auszubilden. Mittlerweile jedoch interessieren sich immer mehr Unternehmen für die Tricks und Kniffe aus dem Tier- und Pflanzenreich. Hill hat Bücher verfasst, in denen er seitenlang pfiffige Lösungen aus der Natur auflistet: Injektionsapparate, Bohrköpfe, Faltungsmechanismen. Wer ein technisches Problem hat, kann sich bei ihm inspirieren lassen.

Für Schlagzeilen sorgte der selbst reinigende Dachziegel. Dessen Oberfläche ist dem Blatt der Lotusblume nachgebildet – ein Prinzip, das der Bonner Forscher Wilhelm Barthlott entdeckt hat: Winzige wächserne Noppen gewährleisten, dass sich die Wassertropfen auf seinen Blättern nicht ausbreiten, sondern beinahe kugelförmig bleiben. Rollen sie vom geneigten Blatt herunter, nehmen sie Schmutzteilchen mit, die an ihnen kleben bleiben. Das Prinzip funktioniert sogar bei einem Honiglöffel, der ohne Abschlecken restlos abtropft. Mit fettigen Fingern darf der Löffel allerdings nicht angefasst werden. Das macht den Effekt zunichte.

Bei dem Workshop auf der Burg Lichtenberg in Kusel, einer Außenstelle des Pfalzmuseums für Naturkunde Bad Dürkheim, geht es Hill darum die Lehrer von den didaktischen Möglichkeiten der Bionik zu überzeugen. Das Seminar ist Teil des Begleitprogramms zu der bis Ende September laufenden Sonderausstellung „HiTech Natur“ des Bad Dürkheimer Museums, zu dem auch Forschungsfreizeiten für Kinder gehören und Vorträge, wie der des Bionikvordenkers Werner Nachtigall.

Die Atmosphäre in der Burg legt es nahe, dass Hill auf dem besten Wege ist, sein Thema an den Mann und die Frau zu bringen. Die Hälfte der Lehrer baut und bastelt konzentriert, die andere ist zum Sammeln in die Botanik ausgeschwärmt. Mal sehen, ob der Lotuseffekt nur bei heimischen Dachziegeln oder auch bei heimischen Pflanzen auftritt. Merke: „Naturorientiertes Lernen fördert Motivation und Selbstentfaltung, Neugier und Fantasie.“

Dass es auch interdisziplinäres und vernetztes Denken fördern kann, wird bei dem Workshop nur angedeutet durch die Vielzahl der Fächer, die die angereisten Lehrer unterrichten: Mathematik, Biologie, Technik. Ein paar Universalisten von Grund- und Hauptschulen sind auch dabei. Um die Interdisziplinarität zur Geltung zu bringen, ist das Programm allerdings zu straff. Die Kräfte zu berechnen, die den Ahornsamen in Drehung versetzen und in der Luft halten, würde zu lange dauern.

„Der wesentliche Faktor ist die Zeit“, bestätigt die Museumspädagogin Ute Wolf, die die Forschungswerkstatt vor 15 Jahren auf der Burg Lichtenberg eingerichtet hat. Die Kinder brauchten einen Anlauf, um sich vom Forschen gefangen nehmen zu lassen und aus sich herauszugehen. In das ganzheitliche Konzept ihrer ursprünglich unter dem Aspekt der Ökologie eingerichteten „Forschungswerkstatt Natur – Kunst – Technik“ passt die Bionik nahtlos. „Die Analyse ist wichtig“, sagt die Biologin, „aber oft wird die Synthese vergessen.“ Die Kinder in der Forschungswerkstatt erforschen den Lotuseffekt deshalb nicht nur, sondern sie malen die untersuchten Pflanzen auch: mannshoch, in knalligen Farben.

Wolfgang Steigner, der Referendare für rheinland-pfälzische Grund- und Hauptschulen in Kusel ausbildet, hält Wolfs Konzept eines „handlungsorientierten Unterrichts“ zwar für gut, wendet aber ein: „Man muss es didaktisch reduzieren auf das, was in der Schule machbar ist.“

Eine Wochenstunde Biologie in der achten Klasse bietet nicht viel Spielraum. Steigner vermutet, dass er auch bei einer Forschungswerkstatt nie auf das Interesse aller Schüler wird rechnen können, vor allem dann, wenn diese nicht als Ausnahme vom Schulalltag auftritt. „Das Problem ist“, sagt Steigner, „die haben in den Medien alles schon viel besser gesehen.“

Hill und seine Kollegen tun ihr Bestes, um den Lehrern in diesem Rüstungswettlauf beizustehen. Derzeit bereiten sie eine ganze Reihe bionischer Unterrichtsprojekte vor, die etwa in einem Jahr im Internet abrufbar sein sollen. Künftig könnte es fertige Materialkoffer für solche Projekte geben. Hill: „Die Zukunft wird der fächervernetzende Unterricht sein.“

Infos: www.pfalzmuseum.de