szenenapplaus
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Samstagmorgens am Schulterblatt: Eine Japanerin im schlammgrauen Trenchcoat steht am gelben Verkaufstresen eines schwarzweißen Fotogeschäfts, um einen Film samt Abzügen abzuholen. „Was war das für ein Film? Agfa, Kodak, Fuji?“, fragt die blonde, zirka 50-jährige Verkäuferin im zimtbraunen Kostüm. Die Japanerin bleibt stumm. „Was war denn da drauf? Was haben Sie fotografiert?“, will die Verkäuferin wissen. „Alles Mögliche“, sagt die Japanerin salopp. „Ja was – alles Mögliche?“ „Weiß nicht“, sagt die Japanerin in broken Deutsch. „Der Film war lange im Apparat. Alles Mögliche hab‘ ich aufgenommen.“ „Ja, und was? Den Eiffelturm? Big Ben? Den Michel?“ „Nein“, lacht die Japanerin, schüttelt den Kopf, „das nicht.“ „Was dann? Im Großlabor werden täglich tausende von Filmen bearbeitet. Ein paar davon kommen ohne Tüten. Nur anhand der Motive kann man zuordnen, wem welcher Film gehört. Also, was haben sie fotografiert? Menschen, Autos, Stadt, Land?“ „Keine Menschen.“ „Was?“ fragt die Verkäuferin ungeduldig. „Stadt“, sagt die Frau aus Fernost. „Und was noch?“, fragt die Angestellte und beugt ihren Oberkörper weit über den Tresen, bereit zum Absprung ins Gesicht der Kundin. „Wald“, weiß die zierliche Person nun. „Stadt und Wald... aha. Keine Menschen?“ „Nein, keine Menschen“, wiederholt die kleine Frau, selbst etwas erstaunt. „Ja und welche Stadt?“ „Weiß nicht“, sagt die Japanerin, äusserlich sehr seriös und gepflegt wirkend. „Ja und was war das für ein Film? Farbe, Schwarzweiß?“ „Schwarzweiß nich‘.“ „Also Farbe.“ Die Verkäuferin kreuzt auf einem Umschlag ein Kästchen an. „Was für ein Film? Kodak? Fuji? Agfa?“ „Agfa nich‘“, sagt die Japanerin, die ihre Antworttechnik, das Ausschlussverfahren nach dem Motto: ‚Frag‘ mich und ich verneine‘, auf die Spitze treibt. „Sind Sie sich sicher, dass sie nicht mit einer Digitalkamera fotografiert haben?“, fragt die Verkäuferin spitz. „Ja“, haucht die Japanerin zärtlich. Dann fragt sie seelenruhig, als gebe es gar kein Problem: „Also, wie lange dauert das, bis ich die Fotos abholen kann? Eine Woche?“ „Keine Ahnung“, sagt die Verkäuferin genervt. „Eine Woche. Zwei. Am besten Sie gucken öfter ‘rein. Aber vielleicht kommen die Fotos auch nie wieder.“ Carsten Klook

Der Autor liest am Sonntag, 17 Uhr in der Galerie Trottoir, Hamburger Hochstraße 24, unter dem Arbeitstitel „Schau mir in die Nase, Kleines“ unveröffentlichte Texte. Außerdem stellt er ungehörte Hörspiele vor und zeigt eigene Krakelzeichnungen. Mit dabei: Frank Lähnemann mit seinen Kurzgeschichten