Die SPD inszeniert sich mit Geschichte

SPD-Kandidat Steinmeier lobt die Weimarer Republik und zeigt, wie die SPD Gedenkjahr und Wahljahr verbinden will

BERLIN taz ■ Geschichtspolitik war in der großen Koalition bislang ein Randthema. Gesinnungsschlachten wie um Fischers militante Vergangenheit gab es nicht. Auch das 68er-Jubiläum blieb eher frei von tagespolitischen Indienstnahmen. Doch damit ist es vorbei. 2009 erinnert man an die Gründung der Weimarer Republik 1919, an die der Bundesrepublik 1949 und den Mauerfall 1989. Schon weil im Herbst gewählt wird, liegt es für Union und SPD nahe, das glanzvolle Heute als eigene Errungenschaft zu inszenieren.

Schon Kanzlerin Angela Merkel feierte 1919 kürzlich als Beginn des Frauenwahlrechts und scharte Alice Schwarzer um sich. Ein Schelm, wer da an das miese Wahlergebnis der Union 2005 bei Frauen dachte. Am Freitag entwarf nun SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier im Weimarer Nationaltheater die sozialdemokratische Lesart von 1919. Keine Phase unserer Geschichte wurde so vom bösen Ende her „beurteilt wie die Weimarer Republik“, sagte Steinmeier: Ein Reflex der alten Bundesrepublik, die aus Unsicherheit auf Distanz zu Weimar ging. Heute aber könne man die Weimarer Republik als „Eintritt in die Gemeinschaft demokratischer Nationen und Anschluss an die kulturelle Moderne“ schätzen. Die Akteure dieses Aufbruchs waren SPD, katholisches Zentrum und liberale DDP, die sich des antidemokratischen Zangengriffs von Kommunisten und Freicorps erwehren mussten. Stets, erklärte Steinmeier, gelte es, „Demokratie gegen das schleichende Gift des Populismus von links und rechts zu verteidigen“.

Damit ist die Linie von 1919 bis heute, von Friedrich Ebert bis Franz Müntefering, angedeutet und der verantwortungsvolle Demokrat zur Leuchtfigur der SPD-Erzählung geadelt. Wer Steinmeiers Loblied auf den Linksliberalen Hugo Preuß hörte, mochte einen leisen tagespolitischen Oberton heraushören. Wie schön wäre es, mit Leuten vom Schlage Preuß eine Ampel zu bilden, anstatt sich mit Westerwelle herumzuärgern.

Vor allem aber zeigt die Weimarer Rede das Geschichtsnarrativ der SPD. Ohne die NS-Katastrophe zu verkleinern, versucht die SPD die Sache vom guten Ende her zu erzählen. 1919 und 1949 erscheinen als Symbole der Demokratie, 1968 hat Steinmeier als postnationalen, west- wie osteuropäischen Liberalisierungsversuch gedeutet, der 1989 vorbereitete. Demokratie und Freiheit werden zum roten Faden. Diese selbstbewusste Interpretation ist auch ein Versuch, das Selbstbild der SPD zu liften, die dazu neigt, sich in die Opfer- und Oppositionsrolle zu fügen.

Allerdings werden bei diesem optimistischen Bogenschlag manche Ecken rund geschliffen. Der Name Noske kam bei Steinmeier nicht vor. Der SPDler Noske gab 1919 faktisch sein Plazet zu dem Mord an Luxemburg und Liebknecht und symbolisiert das abgründige Bündnis der SPD mit rechten Antidemokraten. Diese Unfähigkeit zur Selbstkritik ist, nach 90 Jahren, verwunderlich.

Steinmeier räumte mittags das Theater, danach zogen Luxemburgs Erben ein. Die Linkspartei, von Gysi bis Bartsch, führte eine szenische Lesung mit Texten von 1919 auf. Man wolle die Weimarer Republik nicht nur vom bösen Ende her erzählen, erklärt die Linkspartei. Zumindest darin scheinen SPD und Linke einig. STEFAN REINECKE