Riesenbabys mit Risiken

Geschätzte 15 Prozent der werdenden Mütter entwickeln eine Zuckerkrankheit in der Schwangerschaft. Dadurch werden die Kinder groß, schwer und anfällig für Übergewicht und Diabetes. Ein Problem: Oft bleibt Schwangerschaftszucker unbemerkt

VON MARTINA JANNING

Diana Schubert* war zunächst bloß überrascht, als ein Arzt bei ihr Schwangerschaftsdiabetes feststellte. „Dann kam die Angst, dass mein Kind Schaden nehmen könnte“, erzählt die Berlinerin. Eine berechtigte Sorge. Denn hat die Mutter zu viel Zucker im Blut, dann ist der Zuckerspiegel auch beim Ungeborenen hoch. Besteht dieser Zustand längere Zeit, kann der Zucker Organe schädigen und zu Missbildungen führen.

Der veränderte Stoffwechsel befördert außerdem das Wachstum des Kindes. Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes bringen oft sehr schwere Kinder mit mehr als 4.000 Gramm Gewicht zur Welt. Normalerweise wiegt ein Säugling bei der Geburt nur zwischen 3.200 und 3.600 Gramm. Das hohe Körpergewicht vergrößert das Risiko für eine Frühgeburt. Und im späteren Leben sind die Kinder von Frauen mit Schwangerschaftszucker stärker gefährdet, dick zu werden und Diabetes zu bekommen.

Nicht erkannt oder unbehandelt, gehe die Krankheit mit einer regelrechten „Glukosemast“ des Ungeborenen einher, sagt Andreas Plagemann von der Klinik für Geburtsmedizin der Charité Berlin. Das schädige das Kind bereits im Mutterleib, und die gesamte Regulierung von Stoffwechsel, Appetit und Körpergewicht werde „geradezu fehlprogrammiert“.

Bei der werdenden Mutter kann Schwangerschaftsdiabetes Komplikationen wie Harnwegsinfekte und hohen Blutdruck verursachen. Außerdem ist wegen der Größe des Kindes eine normale Entbindung meist nicht möglich, und die Ärzte müssen einen Kaiserschnitt machen.

Zu dem erhöhten Blutzuckerspiegel kommt es, weil der Körper zu wenig Insulin herstellt. Dieses Hormon, das in der Bauchspeicheldrüse produziert wird, schleust Zucker aus dem Blut in die Zellen. Dadurch sinkt der Zuckerwert im Blut. Während einer Schwangerschaft sorgen Hormone dafür, dass der Körper mehr Insulin braucht. Hat die Frau Übergewicht, verschärft sich die Situation. Wenn der höhere Bedarf nicht ausgeglichen werden kann, indem die Bauchspeicheldrüse mehr Insulin freisetzt, entwickelt sich Schwangerschaftszucker, sogenannter Gestationsdiabetes. Er ist eine Variante des Diabetes mellitus und verschwindet in der Regel nach der Schwangerschaft wieder. Die betroffenen Frauen haben aber ein deutlich größeres Risiko, einige Jahre später an Diabetes Typ 2 zu erkranken – und zwar nicht erst im Herbst des Lebens, wie der dafür gebräuchliche Begriff „Alterszucker“ nahelegt.

Eine Tücke des Schwangerschaftsdiabetes ist, dass die Frauen oft keine Beschwerden haben. Hinweise können aber sein, dass Betroffene ständig starken Durst verspüren und oft zur Toilette müssen. Das kommt daher, dass ein hoher Zuckerspiegel die Nieren überlastet und diese vermehrt Zucker mit dem Urin ausscheiden müssen. Um den Zucker lösen zu können, braucht der Körper mehr Flüssigkeit. Daher kommt das verstärkte Durstgefühl. Ein anderes Alarmsignal ist, wenn eine Frau in der Schwangerschaft abnimmt. Hier führt der Insulinmangel dazu, dass der Körper Fettgewebe abbaut, um seinen Energiebedarf zu decken.

Bei Diana Schubert wurde der Diabetes bei einer der regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft entdeckt. Die Frauenärztin machte einen Urintest. Als der Teststreifen Zucker anzeigte, überwies sie die junge Frau an einen Facharzt, der auf Diabetes spezialisiert ist. Dort brauchten weitere Untersuchungen dann Gewissheit.

Routinemäßig bezahlen die gesetzlichen Krankenversicherungen bloß den Urintest. Der ist jedoch sehr ungenau und versagt in neun von zehn Fällen, stellte die Klinik für Geburtsmedizin der Berliner Charité fest. Zuverlässiger ist ein Zuckerbelastungstest. Bei diesem sogenannten oralen Glukosetoleranztest nimmt ein Arzt vor und nach dem Trinken einer Zuckerlösung Blut ab, und ein Labor misst dann den Zuckergehalt in den Proben. Es wird gerade geprüft, ob der Glukosetoleranztest für alle Schwangeren eingeführt werden soll. Dann wäre er eine Kassenleistung. Heute müssen viele Frauen den Zuckerbelastungstest privat bezahlen, weil sie nicht als gefährdet auffallen für Gestationsdiabetes.

Viele Fachleute halten es für sinnvoll, bei jeder Schwangeren einen Glukosetolerenztest zu machen. Die Deutsche Diabetes-Gesellschaft schätzt, dass jedes Jahr mehr als 17.500 Frauen während einer Schwangerschaft Diabetes entwickeln. „Aufgrund eines fehlenden Screenings bleiben bis zu 50 Prozent unentdeckt“, sagt Marianne Sorger von der Medizinischen Poliklinik der Universität Bonn.

Beim Behandeln von Schwangerschaftsdiabetes geht es zunächst darum, Übergewicht abzubauen. Spezialisierte Arztpraxen und Kliniken unterstützen Schwangere dabei, ihre Ernährung umzustellen und sich trotz Babybauch mehr zu bewegen. Wenn diese Schritte den Blutzucker nicht ausreichend senken, müssen die Frauen für die Zeit der Schwangerschaft Insulin anwenden.

* Name geändert

Beratungsstellen für Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes: – Berliner Diabetes-Zentrum für Schwangere am St.-Joseph-Krankenhaus: www.schwangerschaft-und-diabetes.de; Tel: (030) 78 82-25 46 – Diabetessprechstunde der Klinik für Geburtsmedizin der Charité Berlin: geburtsmedizin.charite.de/index.php? id=164, Tel.: (0 30) 45 05 64-0 48 – Vivantes Klinikum Neukölln/Klinik für Geburtsmedizin: www.geburtshilfe-berlin.de/Seiten/02Behandlungsbereiche/0102Diabetes-Sprechstunde.html, Tel.: (0 30) 1 30-14-8 14 – Bundesweite Arztsuche der Deutschen Diabetes-Gesellschaft: www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de