Korsischer Sommer

Bei ihrer diesjährigen „Universität“ müssen die Nationalisten gleich mehrere Niederlagen verdauen

PARIS taz ■ Die diesjährige Sommermode unter dogmatischen korsischen Nationalisten sind drei auf T-Shirts gedruckte Lettern: „GTY“. Andere ziehen es vor, denselben Slogan – in der ausgeschriebenen Variante – auf ihren Oberarm zu tätowieren: „Gloria a te Yvan“. Das bedeutet: „Ruhm für dich, Yvan“. Und ist einem seit Anfang Juli in Paris inhaftierten Mann gewidmet, der verdächtigt wird, am 6. Februar 1998 den Präfekten Claude Erignac mit einem Kopfschuss aus unmittelbarer Nähe ermordet zu haben.

Jenseits der Yvan-Colonna-Mode ist bei der diesjährigen 22. „Sommeruniversität“ der korsischen Nationalisten in der Bergstadt Corte alles beim Alten geblieben. Sowohl auf der von Männern beherrschten Tribüne als auch unter dem Fußvolk von rund 1.500 Menschen. Dieselben hasserfüllten Parolen gegen alles Französische und andere Nichtkorsische. Dieselben offenen Drohungen gegen Linke, Gewerkschafter und alle anderen Nichtnationalisten. Dieselbe Ambivalenz zwischen legaler Politik und Bomben. Derselbe Kult um die vermummt und bewaffnet kämpfenden Männer. Und dieselben vielfachen Spaltungen im „Widerstand“.

Doch diesmal müssen die korsischen Nationalisten gleich mehrere schwere Niederlagen verdauen. Alle drei datieren aus dem Monat Juli: die Verhaftung von Yvan Colonna, der vier Jahre auf der Insel untergetaucht war. Das „Nein“ der Mehrheit der Inselbewohner in einem Referendum über ein neues politisches Statut, von dem sich die Nationalisten mehr Einfluss erhofft hatten. Und die harte Verurteilung von acht Männern wegen Komplizenschaft und intellektueller Vorbereitung des Präfektenmords.

Angesichts dieser neuen Gemengelage zwischen Paris und der Insel verfahren die Nationalisten zweigleisig. Einerseits gründen sie neue bewaffnete Gruppen mit Namen wie: „Union der Kämpfer“, „Anonyme“ und „24. Oktober“. Im Monat Juli verübten diese Dissidentengruppen der klassischen FLNC insgesamt 50 Attentate (gegenüber 11 im selben Monat des Vorjahres). Sie richteten sich mehrheitlich gegen öffentliche Einrichtungen, zielen aber auch auf Feriendörfer, die den „Fehler“ haben, nicht „korsisch“ zu sein. Der bislang meistverurteilte Anschlag hat einen symbolischen Charakter und richtete sich gegen einen Toten: In der Nacht zu Sonntag zerschlugen Unbekannte in Ajaccio die marmorne Gedenkplakette für den ermordeten Erignac.

Die Zunahme des bewaffneten Kampfes beunruhigt sowohl in Paris als auch auf der Insel. Parallel dazu bereiten die „legalen“ Politiker der Nationalisten, und vor allem die größte Gruppe „Independenza“, die Regionalwahlen im nächsten Jahr vor. Bei Wahlen auf der 250.000-Einwohner-Insel repräsentieren sämtliche Strömungen der Nationalisten und Autonomisten gemeinsam in der Regel rund 15 Prozent. Die Sprecher von „Independenza“ meinen jetzt, dass sie im nächsten Jahr auf 25 Prozent kommen könnten. Dazu suchen sie eine breite Allianz. Und wollen in diesem Sommer die angeblich erste Grundsatzdebatte über den bewaffneten Kampf führen. DOROTHEA HAHN