in fussballland
: Merkwürdige Partien

CHRISTOPH BIERMANN erinnert an einen unabsichtlichen Experten der Fußball-Korruption

In Plattling fällt Schnürlregen vom Himmel. Lutz Pfannenstiel bestellt einen Teller Schwammerlsuppe, beginnt zu erzählen und gleich wird es behaglich wie an einem knisternden Kamin. Der Stoff ist endlos, denn der Mann aus dem Guinnessbuch der Rekorde hat in jedem der sechs Fußball-Kontinentalverbände gespielt. Pfannenstiel ist Abenteurer und wie viele von ihnen erzählt auch der Torhüter mit dem indianerlangen Haar gerne davon. Im Moment arbeitet er an einem Projekt, das auf das Problem der Erderwärmung hinweisen soll.

Aber darum soll es so wenig gehen wie um den Zusammenstoß mit einem gegnerischen Stürmer in England, nach dem Pfannenstiel dreimal klinisch tot war. Wir wollen über Korruption im Fußball sprechen, weil er dafür unabsichtlich zum Experten wurde. 101 Tage lang hat er in einem Knast in Singapur gesessen, und als wäre er gestern erst entlassen worden, sprudelt die Geschichte aus ihm hervor. Dabei liegt es nun fast schon neun Jahre zurück, als sein Leben als Star im Stadtstaat von heute auf morgen zu Ende ging. Pfannenstiel war damals Keeper beim arrivierten Traditionsklub Geylang United und Gastgeber einer populären Fernsehshow von ESPN für Südostasien. Der Niederbayer verdiente gut und führte ein schönes Leben, als plötzlich ein Trupp der Antikorruptionsbehörde seine Wohnung stürmte und auf der Suche nach Bargeld und Wettscheinen alles kurz und klein schlug. Anschließend nahmen sie ihn mit in Untersuchungshaft, wo es ordentlich Prügel gab.

Nach zehn Tagen wurde er entlassen. Es begann das Warten auf einen Prozess, dessen Ausgang schon klar war. Pfannenstiel wurde der Spielmanipulation angeklagt, weil ein Buchmacher seinen Namen genannt hatte, um sich selbst zu retten, und die Antikorruptionsbehörde des Landes hatte den Ruf zu verteidigen, noch nie einen Prozess verloren zu haben. Singapur wollte gnadenlos die Rückkehr der verschobenen Spiele verhindern, die Jahre zuvor den dortigen Fußball fast zerstört hatten.

Die Story von Michael Vana kannte auch Pfannenstiel, sie gehört zur Fußball- und Gangsterfolklore des Landes. Der tschechische Stürmer hatte in den Neunzigerjahren angeblich sieben Millionen Dollar mit verschobenen Spielen verdient, war verhaftet worden und nach der U-Haft mit einem Schnellboot außer Landes gebracht worden. Illegale Buchmacher hatten die Kaution von einer Million und sein Verschwinden bezahlt.

Pfannenstiel bot 150 Zeugen auf, und zwei der drei angeblich manipulierten Spiele hatte er sowieso gewonnen. Die Richte- rin warf ihm aber sogar vor, in einer Partie „auffällig gut“ gehalten zu haben. Nach dem Urteilsspruch traf er den Staatsanwalt auf dem Klo, der ihm zu seinem Kampfgeist gratulierte und inständig bat, nicht in die Revision zu gehen. Dann würden aus den zwei Monaten schnell fünf Jahre Haft.

Vor zwei Jahren staunte Pfannenstiel in Albanien darüber, welch merkwürdige Partien sich mitunter abspielten. Ein Gegner, der kurz zuvor haushoch gewonnen hatte, schickte plötzlich eine Jugendmannschaft und ging sang- und klanglos unter. Bei einem Auswärtsspiel führte Pfannenstiels Team zur Pause, doch beim Gang in die Kabine wurde klar, dass diese Führung kaum Bestand haben würde. In der Schiedsrichterkabine herrschte großes Geschrei, ein Funktionär der Gastgeber hatte sich einen Schuh ausgezogen und schlug den Unparteiischen mit der Sohle vor die Stirn. Das wirkte sich auf die Spielleitung aus, bei der weiteren Kopfschmerzen des Schiedsrichters durch günstige Entscheidungen vorgebeugt wurde.

Inzwischen gibt es Spieler, die, von Abenteuerlust angetrieben, bei Pfannenstiel um Rat nachfragen. Einem amerikanischen College-Spieler hatte er letztes Jahr ein Probetraining in Vietnam besorgt. Der Trainer wollte ihn auch, stellte allerdings als Bedingung: „Ich sage dir, wann du gut und wann du schlecht spielen sollst.“ Der Amerikaner wusste nicht, was damit gemeint war. Pfannenstiel schon, er riet zur umgehenden Heimreise.

Fotohinweis:Christoph Biermann (48) liebt Fußball und schreibt darüber